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So fern wie ein Traum

So fern wie ein Traum

Titel: So fern wie ein Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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einem Finger über die schmale Narbe über seiner Braue fuhr, zuckte Laura zusammen. Dann sah sie ihn wieder ruhig an.
    »Er war stärker als ich, aber ich war jung und schnell und ich hatte bereits jede Menge Raufereien hinter mir. Also habe ich ihn zu Brei geschlagen. Und ich habe immer weiter auf ihn eingeschlagen, als er längst blutend und bewusstlos am Boden lag und ich nicht mehr spüren konnte, wie meine Hände auf sein Gesicht trommelten. Ich hätte ihn sicher umgebracht. Ich hätte ihn totgeschlagen, und mir nichts dabei gedacht.«
    Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, war nicht auf so etwas vorbereitet. Aber sie dachte, dass sie ihn verstand. »Schließlich hast du deine Mutter beschützt.«
    »So hat es angefangen, aber dann wollte ich ihn einfach nur noch umbringen. Ich wollte ihn töten. Dieses Bedürfnis steckte tief in mir drin. Ich hätte ihn fertig gemacht, wenn sie mich nicht daran gehindert hätte. Und während ich noch über ihm kniete, während sie eine Hand an ihr blutendes, geschwollenes Gesicht hielt, hat sie mich aufgefordert zu verschwinden.«
    »Michael.«
    »Sie hat gesagt, ich hätte nicht das Recht, mich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Hat eine Menge solcher Dinge gesagt, und schließlich bin ich aufgestanden und habe sie bei ihm zurückgelassen.«
    »Sicher hat sie es nicht so gemeint.« Wie konnte eine Mutter sich gegen ihr eigenes Kind wenden? So etwas gab es doch ganz sicher nicht. »Sicher war sie furchtbar aufgeregt und verängstigt und verletzt.«
    »Sie hat es so gemeint, Laura. In dem Augenblick hat sie es so gemeint. Später hat sie es sich dann anders überlegt, hat den Kerl vor die Tür gesetzt und sich zusammengerissen. Dann hat sie Frank kennen gelernt. Aber da war ich bereits fort, und ich bin nie wieder wirklich nach Hause zurückgekehrt. Weißt du, wohin ich in jener Nacht gegangen bin?«
    »Nein.«
    »Hierher nach Templeton House. Ich weiß bis heute nicht, warum. Es war einfach der einzige Zufluchtsort. Mrs. Williamson war in der Küche. Sie hat meine Wunden versorgt, mit mir geredet, mir zugehört, mich mit Keksen gefüttert.« Er atmete zitternd aus und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. Er hatte nicht gewusst, dass ihm diese Nacht noch derart gegenwärtig war. »Wahrscheinlich hat sie mir das Leben gerettet. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn sie nicht da gewesen wäre. Sie hat gesagt, ich müsste etwas aus mir machen. Nicht, dass ich eine Wahl oder dass ich diese oder jene Möglichkeit hätte, sondern einfach: ›Du musst etwas aus dir machen, Junge, damit du nicht vollkommen untergehst.‹«
    »Sie hatte schon immer eine Schwäche für dich, Michael.« Und er hatte es verdient, erkannte sie. Er hatte Verständnis, Trost und Fürsorge verdient. Armer, verlorener Junge, der er gewesen war.
    »Sie war die erste Frau, die ich je geliebt habe«, erklärte er, zupfte einen weiteren Strohhalm aus dem Ballen und kaute in Ermangelung einer Zigarette auf dem Halm herum. Hätte er auch nur ansatzweise geahnt, was Laura in ihm sah, hätte ihn das nicht amüsiert, sondern entsetzt.
    »Und vielleicht auch die letzte Frau«, fügte er hinzu. »Sie hat gesagt, ich sollte rüber zu den Stallungen gehen und sie selber würde Josh holen. Dann haben er und ich die ganze Nacht hier drin gesessen und geredet. Die ganze verdammte Nacht. Jedes Mal, wenn ich davon anfing, dass ich etwas Verrücktes tun würde, hat er mich mit seiner kühlen Anwaltslogik davon abgebracht. Am nächsten Tag habe ich bei der Handelsmarine angeheuert und mich die ganze Zeit bis zum Auslaufen des Schiffs hier bei euch versteckt.«
    »Hier? Du hast dich hier versteckt? Davon hat Josh nie auch nur einen Ton gesagt.«
    »Vielleicht verstand er schon damals was von anwaltlicher Schweigepflicht. In jedem Fall verstand er was von Freundschaft. Mrs. Williamson hat mich mit Essen und Trinken versorgt. Sie und Josh waren die einzigen, an die ich je geschrieben habe, während ich bei der Marine war. Sie war auch diejenige, die mir schrieb, dass meine Mutter Lado endlich rausgeworfen hatte. Ich schätze, Mrs. Williamson hat sie besucht. Ich habe sie nie danach gefragt.«
    Er schüttelte den Kopf und setzte ein, wenn auch gezwungen wirkendes, Grinsen auf. »Weißt du, ihre Kekse haben mich auf dem Schiff regelrecht berühmt gemacht. Einmal im Monat hat sie mir eine Riesenschachtel voll geschickt. Einmal, nachdem ich bereits mein Hemd beim Poker verloren hatte, habe ich ein paar von ihren –

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