So fühlt sich Leben an (German Edition)
bekannten Rapper zusammenbringen, um diesen Song zu performen– » We Are the World« in Rap-Form. Specter von Aggro hat damals gesagt: » Perlen vor die Säue. Es wird nichts an den Verhältnissen ändern.« Mag sein. Wie gesagt, das Album wurde nie veröffentlicht, aber wenn ich mir die Platte heute anhöre, gefällt sie mir immer noch.
Dabei bin ich damals, 2008, mit letzter Kraft an die Arbeit gegangen. Eigentlich hatte ich mit dem Musikgeschäft abgeschlossen. Lieber Tiefkühlpizza ausfahren… » Pass uff«, habe ich zu Svenne gesagt, » ick mach jetzt noch ein Album, und dann hör ick uff.« Mit den Einnahmen aus diesem Album kannst du vielleicht eine längere Durststrecke überbrücken, habe ich mir gesagt, aber Lust hatte ich keine mehr. Doch Sven, der ja bei mir wohnte und der täglich mit mir im Studio war, hatte Blut geleckt. Der wollte nicht zulassen, dass ich meinen Traum in die Tonne haue. Inzwischen war mein Traum nämlich auch sein Traum geworden, und deshalb hat er auf mich eingeredet wie auf den berühmten lahmen Gaul:
» Wir können das, wir schaffen das, wir holen noch viel mehr aus uns raus…«
Und ich immer: » Ach, Svenne, den Blues willst du in Wirklichkeit gar nicht, den ich durchgemacht habe. Das willst du dir nicht antun. Du weißt gar nicht, worauf du dich da einlässt.«
Aber dann hat er mich doch rumgekriegt. Eine irre Geschichte.
Gut, ich hatte mir fünfzehn Titel ausgesucht, die ich im Studio berappen wollte. Beziehungsweise teils berappen, teils besingen. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, diesmal auch zu singen, wenigstens die Hooks, die Refrains. Ich hätte mich nie als Sänger bezeichnet, daran war überhaupt nicht zu denken, trotzdem wollte ich es jetzt bei den Refrains mal mit Singen versuchen. Wir sitzen unten in meinem Studio, und auf dem Mischpult habe ich einen Track, mit dem ich noch nicht zufrieden bin, versuche mich also singenderweise am Refrain, und zwar an einer höheren Stimmlage, und merke, dass es nicht klappt, dass ich nicht hoch genug komme. Dementsprechend grausig hört es sich an.
» Wie findsten det?«, sage ich zu Sven, der zwei Meter weiter zu meiner Linken sitzt und seine Mails checkt.
Und Sven blickt auf und sagt: » Na, ick würd det anders singen. Ganz anders.«
Sven! Mein Bodyguard! Soooolche Oberarme, fünfundfünfziger Bizeps– und dieser Typ sagt zu mir, er würde das anders singen? Mein Personenschützer? Ich traue meinen Ohren nicht.
» Ja? Wie denn?«, frage ich ihn, mehr im Scherz, weil ich’s so komisch finde.
» Na, gib mal her das Ding.«
Da nehme ich den Teleskoparm mit dem Mikrofon, schubse ihn zu ihm rüber, das Mikro schwenkt genau vor sein Gesicht, werfe ihm den Kopfhörer hinterher und sage: » Gut, dann sing mal.«
Er gibt mir ein Zeichen, ich werfe die Maschine an, drücke den Aufnahmeknopf, los geht’s, und Sven singt. Singt meine Worte und singt sie mit hoher, klarer Stimme über meinen Refrain. Richtig schön. Richtig gekonnt.
Ich bin sprachlos. Das war gut. Das war so gut, dass ich total perplex bin. Ich drücke auf Stopp. Sven hebt eine Muschel des Kopfhörers vom Ohr ab und schaut mich an.
» Na?«
Und ich: » Alter, das ist nicht dein Ernst, oder? Das ist ja voll geil, was du da machst.« Und dann: » Seit wann kannst du denn singen?«
Ich hatte ja keine Ahnung. Er hatte nie was gesagt. In unseren Gesprächen war’s meist um unsere Erfahrungen an der Tür gegangen, und beim Rap hatte ich ihn in letzter Zeit als Backup-Rapper eingesetzt, will sagen, er hat meine Texte gedoppelt, wenn mir die Luft auszugehen drohte, aber mit Gesang hatte das nichts zu tun. Gut, Sven will nicht so recht mit der Sprache raus und druckst rum, na ja, na ja,… und ich sage: » Komm, Alter, wir können ruhig darüber quatschen, erzähl mal.« Da offenbart er mir, dass er früher in einem Chor gesungen hat. Einem Schulchor. Natürlich der Weiber wegen. Er fand eine Kirsche gut, ist in den Chor eingetreten und hat sich von ganz hinten nach vorn durchgesungen, bis er in ihrer Nähe stand.
Wir haben tierisch gelacht an diesem Tag. Und ich hatte bis zu diesem Augenblick geglaubt, alles über Svens Fähigkeiten zu wissen! Das sind eben die besten Freunde, die dich immer wieder überraschen.
» Absolut klasse, was du da gerade eben gemacht hast«, habe ich ihm gesagt, und: » Daran sollten wir weiter arbeiten.«
Und Sven nur: » Ich will singen.«
» Ey«, sage ich, » weißt du, wie das aussieht, wenn so ’n Typ wie du mit ’nem
Weitere Kostenlose Bücher