So fühlt sich Leben an (German Edition)
meine Familie gewesen, und die Trennung von Sven fiel mir schwer. Hinzu kam: Alles, was ich konnte, hatte ich im Hansa gelernt, und jetzt sah es so aus, als würde ich mich mit meinem gesammelten Wissen davonstehlen. Hätte ich aus Loyalität bleiben sollen? Ich bin ein sehr dankbarer Mensch, und ich werde Sven mein Leben lang dankbar sein, doch ich musste meine Chance nutzen, und Aggro war– nach Joker, nach L. A.– die größte denkbare Chance. Was den Hip-Hop anging, konntest du mehr nicht erreichen.
So, ich weiter erfolgreiche Remixe gemacht, auch für Sido. Und eines Tages rief er mich an. Ob ich mit auf Tour kommen wolle?
» Wie meinst du das?«, habe ich gefragt. » Willst du auf Tour ein Album produzieren?«
» Nee. Ich feiere dich als Joe Rilla ab. Hast du Bock mitzukommen? Ich biete dir an, als Support mit auf Tour zu gehen.«
Ich sofort zugesagt.
» Es gibt kein Geld«, sagte er. » Wie du durch die Lande ziehst, ist dein Problem. Wir haben im Nightliner keinen Platz, aber ich hätte dich gern dabei.«
Da habe ich mir ein Wohnmobil gemietet, es mit Essensvorräten aus der Metro vollgepackt (chinesische Tütensuppen) und bin ein paar Wochen später mit Sido gestartet.
Das erste Konzert war in Leipzig. Ausverkaufte Halle, fünftausend Leute. Ich hatte so was noch nie gesehen, war aber so überzeugt von mir, dass ich auf die Bühne gegangen bin und in aller Seelenruhe mein Ding gemacht habe. Im Osten kannten mich die Leute ja schon als Joe Rilla, und dementsprechend sind sie ausgeflippt. Mein erstes Konzert in Leipzig war der Hammer. Sido stand hinter der Bühne und hatte sooo ’n Zappen, weil ich die Massen echt gerockt habe und alle komplett aus dem Häuschen waren. Nach meinem Auftritt nahm mich Sido zur Seite und sagte:
» Das war’s.«
Ich: » Was soll denn das heißen? Soll ich nach Hause fahren? Ich hab das Wohnmobil für zwei Monate gemietet. Ich hab den ganzen Wagen voller Futter.«
Und er: » Nein, das meine ich nicht. Ich mache dich zu einem Teil meiner eigenen Show.«
Da habe ich ihn in die Arme genommen. Wahnsinn. Gleich nach meinem ersten Auftritt.
» Das ist doch nicht dein Ernst?«
» Doch. Du bist zu gut, um die Vorband abzugeben. Spiel einen Song, und den Rest machen wir zusammen.«
Wie es mit Sido auf der Bühne war? Wir haben uns super vertragen. Er hatte tierischen Respekt vor mir, ich hatte tierischen Respekt vor ihm. Er feierte mich, ich feierte ihn, die Leute feierten uns. Mit anderen Worten: Es war eine unglaubliche Tour. Wir freundeten uns an und hatten eine geile Zeit, auch, weil ich nie zuvor solche Hallen bespielt hatte. Aggro Berlin war auf dem Höhepunkt, und icke nu uff eenmal mittenmang. Weil ich nicht doof bin, hatte ich vorher schnell ein Album zusammengeschustert, um es unterwegs am Merchandise-Stand zu verkaufen, und die Leute haben gekauft. Zehn Euro die Platte, und die Dinger gingen weg wie warme Semmeln… Bereit, zu sterben hieß das Album. Der Titel war Ausdruck meines Lebensgefühls. In diesen Tagen kam ich mir vor wie einer, der alles erreicht hatte, wovon er je geträumt hatte– und jetzt bereit war, den Löffel abzugeben.
Die erste Tournee mit Sido ging über mehr als zwei Monate. Wir sind kreuz und quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz gefahren. Wir sind in allen größeren Städten aufgetreten, in Wien, in Salzburg, in Linz, in München, in Hamburg und allen nennenswerten Orten dazwischen. Die längste Fahrt war die von Linz nach Rostock, zwei Tage, Sido mit seinem Nightliner vorweg, ich mit dem Wohnmobil hinterher. Zum Glück musste ich nicht selbst fahren, ich hatte Andy dabei, meinen Praktikanten. Eine Riesentour, und fast jeden Abend fünftausend Leute! Hat Spaß gemacht. Wenn fünftausend Leute kommen, weißt du, dass fünftausend Leute dich gut finden. Und obendrein habe ich durch den Verkauf meiner Platte auf dieser Tournee gutes Geld verdient, Geld, das ich für schlechte Zeiten auf die Seite legte. Die anderthalb mageren Jahre, in denen Haudegen allmählich Form annahm, konnte ich mir nur leisten, weil ich mir Rücklagen gebildet hatte.
Sido ist eine verrückte Type. Ein s uper i ntelligentes D rogen o pfer, wie sein Name sagt. Dieser Name bringt ihn auf den Punkt. Ein schlauer Bursche, von dem ich viel gelernt habe, der meiner Karriere noch mal einen ordentlichen Schub gegeben hat. » Du musst verständlicher werden«, sagte er mir. » Du musst mit noch weniger Worten auskommen, wenn du willst, dass die Leute dir
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