So fühlt sich Leben an (German Edition)
seither zwei-, dreimal die Woche miteina nd er.
Von dem Bandidosterror hatte ich Sven bereits beiläufig erzählt, wie ich auch meinen Bekannten bei den Angels in Kiel davon unterrichtet hatte. » Wir kümmern uns drum, mach dir keinen Kopf«, hieß es aus Kiel. Denen war die Sache unangenehm– bloß weil ich als Musiker bei ihnen aufgetreten war, hatte ich jetzt die Bandidos am Hals. » Wir klären das.« Passiert war jedoch nichts. Vermutlich brauchte so ein Krach seine Zeit angesichts des Kriegszustands, in dem sich beide Klubs befanden, da war jemand wie ich nur eine Randnotiz.
In Anbetracht des Bandidospulks vor meiner Tür griff ich also zum Hörer und rief Sven in Dresden an. » Pass auf, Dicker, das spitzt sich hier zu. Ich kriege jetzt langsam Angst. Ich begreife nicht, worauf das hinauslaufen soll.« Ich wusste, dass Sven auch als Personenschützer arbeitete, dass er zum Beispiel Angela Merkel begleite t hatte . » Was hältst du davon, wenn du hierherkommst?«
Bei Aggro bekam jeder Rapper einen Bodyguard, das war gang und gäbe. Ob Sido oder ein anderer, immer war Moussa dabei, und Moussa regelte alles. Mir hatten sie Moussa ebenfalls angeboten, aber ich hatte abgelehnt. Kein Zweifel, Moussa war gut, ich hatte ihn schon in Aktion erlebt und wusste, was er konnte; als Berufssoldat war er an den Krisenherden dieser Erde kein Fremder, Afghanistan zählte zu seinen Einsatzgebieten. Ich mochte Moussa, wollte ihn trotzdem nicht die ganze Zeit um mich haben, wie es in diesem Fall nötig gewesen wäre. Sven war die bessere Wahl. Zum einen, weil er das gleiche wie Moussa konnte, wenn er nicht sogar besser war– als Wing-Chun-Meister, also Ausbilder in einer der effektivsten Kampfsportarten überhaupt–, und zum anderen, weil er mein Kumpel aus alten Tagen war.
» Ich brauche dich«, sagte ich zu Sven. » Ich habe hinten keine Augen. Ich will dich an meiner Seite haben.«
» In vier Stunden bin ich da«, sagte er, packte seine Sachen in Dresden zusammen, setzte sich ins Auto, fuhr los, und etwa vier Stunden später sehe ich, wie er seinen Wagen draußen abstellt, aussteigt und einfach auf mein Studio zugeht, als wäre weit und breit kein Bandido zu sehen. Er ist ja immer noch eine Erscheinung, doch damals war er richtig durchtrainiert– eine Waffe auf zwei Beinen, könnte man sagen.
» So, da bin ick«, sagt er, als er in der Tür steht.
» Bleibst du auch?«
» Klar bleib ick. Wollen wir jetzt nach Hause fahren?«
» Na, dann gehen wir…«
Die Bandidos stehen nach wie vor da. Sven geht vor, ich hinterher, er hält mir die Wagentür auf, wir steigen ein, er fährt los, und die Banditen glotzen. Schöner Auftritt. Von diesem Tag an war Sven Gillert mein Personenschützer, meine Rückendeckung, meine Augen im Hinterkopf, zog bei mir ein, wohnte bei uns, rettete mich einige Male aus misslichen Situationen und war vierundzwanzig Stunden am Tag an meiner Seite. Ich hatte ja gedacht, ich brauche keinen Schutz. Gewalt war mir von der Tür her vertraut, und eigentlich wusste ich, wie man darauf reagiert. Aber bei dreißig bis vierzig Bandidos…
Kurze Zeit später waren sie verschwunden. Ich hatte noch einmal mit meinem Kieler Bekannten gesprochen, hatte ihm die Brisanz des Falls dargelegt, und er hatte mich bei den Hell’s Angels zur Chefsache erklärt. Wahrscheinlich war nur ein kurzes Gespräch mit den richtigen Leuten in Berlin nötig, jedenfalls bekam ich eines Tages einen Anruf von den Bandidos, die Sache sei geklärt, es täte ihnen leid. Das war das i-Tüpfelchen. Es tat ihnen leid… Vielleicht hatte auch Sven einen Anteil am glücklichen Ausgang der Geschichte. In gewissen Milieus erfreute er sich eines Rufs wie Donnerhall. In Dresden nannten sie ihn bloß den » Berliner«. Wenn so einer aufkreuzt, spricht es sich schnell rum. » Wer ist denn jetzt be i d em Joe Rilla?« » Der Berliner.« » So? Aha. Na denn…«
Ich hatte nach diesem Bandidosspuk die Schnauze voll. Svenne hin, Svenne her, ich wollte nicht mehr. Natürlich habe ich zunächst weitergemacht. Ich mache ja immer eine Weile weiter, bis es dann gar nicht mehr geht, bis ich heulend in den Armen von Steffen liege oder Blaulicht hinter mir aufblitzt oder die DDR zusammenbricht (okay, gebe ich zu, stand nicht in direktem Zusammenhang mit meinem Erfolg als Tischtennisspieler). Jedenfalls hatte ich bald danach einen Auftritt in Neubrandenburg, einer hundertprozentigen Bandidos-Stadt. Sven und ich kamen da an, und vor dem Klub standen
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