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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Henia Horowitz würde er ihr nicht wegnehmen.
    »Warum machen Sie es nicht selbst?« sagte sie plötzlich, wie vor zwei Wochen. »Nehmen Sie den Ring einmal in der Woche heraus, und setzen Sie ihn wieder ein. Schauen Sie, wie einfach das ist, man muß ihn nur einweichen. Schade um die lange Fahrt mit zwei Autobussen, hin und zurück, und das bei dieser Hitze.«
    »Ich kann das nicht«, sagte die Alte kindlich verlegen.
    »Mir macht es nichts aus«, beeilte sich Jo’ela schuldbewußt zu versichern. »Es tut mir nur leid für Sie beide. Kommen Sie lieber alle zwei Wochen her? Ist es Ihnen nicht zu anstrengend? Jeder könnte das machen. Nur herausnehmen, einweichen und dann wieder einsetzen.«
    »Es ist schade um Ihre Zeit, Frau Doktor, bestimmt haben Sie viel zu tun«, sagte die Ältere demütig, mit gesenktem Kopf.
    »Nein, es ist mir nicht schade um die Zeit, ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich genug Zeit habe«, sagte Jo’ela ungeduldig. »Es geht mir nur um die Anstrengung. Und Ihr Herz …« Mit der behandschuhten Hand drehte sie den Gummiring in der Desinfektionslösung hin und her. Eine braune Flüssigkeit, wie geschmolzenes Karamel.
    Auf Jiddisch flüsterte die Frau auf dem Untersuchungsstuhl ihrer Schwester etwas zu. Jo’ela verstand nur die Antwort. »Si ken nischt, si waiß nischt« , zischte die Ältere.
    Jo’ela setzte den Gummiring ein und sagte schnell:
    »Schoin, ich waiß.«
    Die Frau zog sich an, während ihre Schwester in der braunen Handtasche wühlte und, wie beim letzten Mal, den kleinen, in eine Nylontüte gewickelten Geldbeutel herausholte und fragte, wieviel sie zu bezahlen hätten.
    »Sie müssen gar nichts bezahlen«, sagte Jo’ela mit einer abwinkenden Handbewegung. Und wie vor zwei Wochen sagte die Alte: »Gott möge Ihnen Ihre Güte danken, wie viele Kinder haben Sie, unberufen?«
    Und Jo’ela, wie vor zwei Wochen, wie vor einem Monat, seufzte und sagte: »Drei.«
    »Gott sei gelobt«, sagte die Alte und blinzelte. »Sie mögen gesund sein und Ihnen Freude bereiten.«
    »Gehen Sie zur Apotheke und kaufen Sie Polidin zum Desinfizieren«, sagte Jo’ela. »Hier, ich schreib’s Ihnen auf. Es ist wirklich ganz leicht, Sie können es allein machen.«
    Die Alte nickte gehorsam, und Jo’ela schrieb das Rezept, obwohl sie sicher war, daß es nichts nützen würde.
    »Ich kann es da nicht rausnehmen, ich habe Angst«, bekannte die Ältere schon an der Tür, den Zettel in der runzligen Hand, und wieder zeigte ihr Gesicht dieses kindliche, helle Lächeln. Als sie hinausgegangen waren, schnell, leise, fast verstohlen, und die Tür hinter sich zugezogen hatten, schienen die flehende Stimme und dieses Lächeln im Zimmer zurückgeblieben zu sein. Wieviel muß man bezahlen? fragten sie immer. Wieso fühle ich mich so bedrückt? dachte Jo’ela. Das Gesicht des Mädchens schwebte wieder über dem Untersuchungsbett. Jo’ela schlug die Hände vors Gesicht.
    Arnon sagte manchmal: »Das ist die schönste Abteilung in der Klinik, die einzige, in der mehr Leute hinausgehen als hereinkommen, und besonders du –
    wie weit du gekommen bist. Es gibt so wenig Frauen in der Chirurgie, und du bist die einzige Oberärztin der Station.«
    Dagegen die Schicksalsergebenheit dieser beiden Frauen. Was war eigentlich mit ihren Männern, wer unterstützte sie? Mußten sie um das Geld für den Autobus bitten, oder konnten sie es vom Haushaltsgeld nehmen? Ja’ara fiel ihr ein, die von Zeit zu Zeit das Gesicht verzog und sagte: »Wie kannst du nur die ganze Zeit dort herumwühlen, hast du nicht die Nase voll davon?«
    Mindestens zwanzig Frauen hatten heute ihre Beine auf dem Untersuchungsbett gespreizt, und mindestens neun hatte sie im Kreißsaal untersucht. Da sah man nun ein junges Mädchen wie dieses, und man mußte sie wieder gehen lassen, weil man keine Chance hatte. Es war nichts zu machen, schon weil ihre Eltern nichts zulassen würden. Und was wäre, wenn sie es schaffte, das Mädchen zu Hause aufzusuchen? Man durfte sich nicht einmischen, man mußte sich hüten, als Missionar aufzutreten. Sie durfte nicht vorpreschen und der Patientin ihren Willen aufzwängen.
    Wieder piepste das Gerät, und ihr fiel selbst der ungeduldige Ton ihrer Stimme auf, als sie antwortete: »Ja.« Es war ihre Tochter Ja’ara, die ins Telefon schrie: »Ich brauche zwanzig Schekel.« Alle Probleme waren zur Seite geschoben. Jo’ela lauschte der aufgeregten, nervösen, wütenden Stimme.
    »Vielleicht kannst du das etwas freundlicher

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