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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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über den getrockneten Fingerhut. Und dann erzählte ich ihm von dem Mord. Mit dramatischen Worten schilderte ich ihm alles, so dass er glaubte, ich hätte Miss Fowler tatsächlich getötet; genauso wie ich es damals erlebt hatte.
    Ich wollte herausfinden, wie er über mich dachte, wenn er davon ausging, dass ich jemanden ermordet hatte, denn genau mit diesem Gefühl hatte ich den Großteil meines Lebens verbracht. Seine Miene blieb unverändert, während er langsam den Kopf schüttelte. Als ich den Teil schilderte, wie Miss Fowler zuckend auf den Stufen vor der Kirche gelegen hatte, griff er über den Tisch, als wolle er meine Hand nehmen. In letzter Sekunde hielt er jedoch inne und sagte mit einem Anflug von Verärgerung in der Stimme: »Du armes kleines Ding.«
    Ich unterbrach mich mitten im Satz. Vielleicht hatte ich es gebraucht, dass jemand so etwas zu mir sagte, dass jemand an meiner Stelle wütend war, um meine eigene Wut zu rechtfertigen. Noch nie hatte jemand »Du armes kleines Ding« zu mir gesagt, und es bedeutete mir mehr, als ich beschreiben kann. Wieder spürte ich einen dicken Kloß im Hals. Er sah mich abwartend an.
    Also erzählte ich ihm von Frankreich und meiner Reise per Anhalter. Von dem Blut auf dem Sitz, den Furien, die auf mich losgegangen waren, von der Irrenanstalt, den Elektroschocks und den Tabletten. Ich wollte das Ende so sachlich wie möglich schildern, ohne Selbstmitleid, obwohl ich registrierte, wie hart und erbarmungslos ich mich anhörte. Als ich endete, saß er schweigend und mit gesenktem Kopf da.
    »Du hast also die ganze Zeit mit einer Psychopathin zusammengelebt«, erklärte ich in möglichst unbeschwertem Tonfall. Doch es klang gekünstelt.
    Er stützte die Ellbogen auf den Tisch, legte die Hände vor Nase und Mund aneinander, beinahe so, als bete er, und blickte mich mit großen, tränenfeuchten Augen an.
    »Aber egal«, fuhr ich fort, »all das ist lange her.«
    Als würde das irgendetwas an den Tatsachen ändern. Obwohl ich mich innerlich tatsächlich besser fühlte. Ich empfand so etwas wie Erleichterung, als wäre soeben der tonnenschwere Rucksack von meinen Schultern genommen worden.
    »Oh, Caroline!«, sagte er traurig. »Du dummes Mädchen. All das hättest du mir doch sagen können.«
    Caroline – er hatte mich noch nie Caroline genannt.
    »Ist es zu spät?«, flüsterte ich.
    Er nickte und sah mir in die Augen. »Ich glaube schon«, antwortete er und starrte aus dem Fenster.
    Ich hievte meinen ausladenden Körper um den Tisch herum und setzte mich neben ihn auf die Bank. Tilly sprang hoch und quetschte sich zwischen uns, unsicher, wie sie das Leben finden sollte – gut oder schlecht.
    Ich legte meine Hand auf seine, woraufhin er meine Finger drückte. Zu fest.
    »Ahh!«, schrie ich auf.
    »Das hast du verdient!«, sagte er, wenn auch keineswegs unfreundlich.
    Doch es war nicht meine Hand, die schmerzte. Ich spürte, wie etwas in mir zerbarst, gefolgt von einem Platschen auf dem Boden. Ich verlagerte mein Gewicht und starrte entsetzt auf die Holzdielen, auf denen sich eine große Pfütze ausbreitete. Die eindeutig von mir stammte.
    »Oh, mein Gott, Joe!« Panisch packte ich seinen Arm. »Oh, mein Gott! Hilf mir! Es kommt!«

 
     
    Leseprobe

»Die Stille über dem Wasser«
     
     
    Übersetzung aus dem Englischen von
    Andrea Brandl
     
     
    © 2013 Clara Salaman
    Titel der englischen Originalausgabe:
    »The Boat«, Head of Zeus, London 2014
    © deutschsprachige Ausgabe:
    2013 Piper Verlag GmbH, München
    ISBN 978-3-492-30223-4

ERTRINKEN
    Johnny stürzte sich mit bemerkenswerter Entschlossenheit auf die Aufgabe, Selbstmord zu begehen. Als er ganz sicher war, dass die See nur ihm allein gehörte und jeder Zipfel Land so weit entfernt war, dass selbst Seevögel vor Erschöpfung vom Himmel fielen und an Bord verendeten, löste er die Hände vom Ruder, woraufhin sich das Boot in den Wind drehte. Er starrte auf die endlosen, im Schein einer unheilvollen Dämmerung rötlich schimmernden Wellen hinaus, während die Segel über ihm heftig im Wind flatterten. Doch er bemerkte das Getöse gar nicht. Nach einer halben Ewigkeit hob er den Kopf und blickte zu den schlackernden Segeln empor, mit Augen, in denen längst kein Leben mehr war. Düster grünlich glommen sie in seinem dunklen, wettergegerbten Gesicht, das ihn viel älter aussehen ließ, als er in Wirklichkeit war.
    Er stand auf, holte die Großschot ein und trat auf das Deck, um das schwere Großsegel herabzulassen

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