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So still die Nacht

So still die Nacht

Titel: So still die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Lenox
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vorgezogen …« – ihre Stimme wurde leise und nahm einen bösartigen Unterton an – »mich zu ignorieren.«
    Diese Stimme passte zu der in seinem Kopf.
    »Dreh dich um und sieh mich an«, befahl er.
    Ihre Schultern wurden weich. Sie hatte es gern, herumkommandiert zu werden.
    Sie wirbelte herum, und ihr Umhang vollzog die Bewegung in einem dunklen Kreis nach. Aus den Tiefen der Kapuze spähte ein weißes Gesicht, eine Porzellanmaske, die Art, die man vielleicht auf einem venezianischen Karneval sehen würde. Die beiden Augenlöcher enthüllten nur Schwärze … keinen Blick auf irgendetwas Menschliches. Kein Weiß, keine Pupillen, keine zwinkernden Augenlider.
    »Haben dir meine Geschenke gefallen?«, fragte sie mit ihrem vorherigen neckischen Tonfall, und ihr Atem zischte hinter dem Porzellan.
    »Du hast mir … Geschenke geschickt?«
    »Ja, Liebling«, tadelte sie und klang wie ein ganz normales, verärgertes Mädchen. »Ich habe sie den ganzen Fluss entlang ausliefern lassen, damit keine Gefahr bestand, dass du sie übersehen könntest.«
    »Du hast eine Frau getötet und sie in Stücke geschnitten?«
    »Nein, törichter Mann. Ich habe sie nicht zerschnitten. Das wäre so … schmutzig. Dafür habe ich meine Kriecher.«
    »Kriecher?«
    Sie wedelte in Richtung der sich duckenden Kreaturen. Sie grinsten und nickten, glückliche Hunde am Fuß ihrer Herrin.
    »Warum hast du das getan?«
    »Du weißt, warum. Denk nach, Lieber, denk nach. Es ist alles da in deinem gut aussehenden unsterblichen Kopf.«
    »Sag du es mir.«
    »Ich habe es für dich getan«, gurrte sie leise. »Für uns.«
    Die Worte in seinem Kopf, gesprochen mit solch bösartiger, sinnlicher Inbrunst …
    Das dramatische Auftauchen der Kutsche und der Kriecher …
    Die Laternen auf dem Wasser.
    Die Dunkle Braut hatte die Bühne für eine Verführung bereitet. Die abgetrennten Arme und Beine und der ganze Rest waren nicht in den Fluss geworfen worden, um ihn zu verhöhnen oder zu einem Kampf herauszufordern.
    Das Miststück versuchte ihn zu umwerben.
    Mina schreckte aus dem Schlaf hoch. Irgendetwas hatte sie geweckt. Ein Geräusch.
    Reglos blieb sie liegen und lauschte angestrengt. Als sie nichts hörte, spähte sie durch den Raum zu ihrer Uhr. Obwohl sie die Zeiger kaum erkennen konnte, schien es ihr fast, dass sie drei Uhr anzeigten. Sie lag erst seit einer Stunde im Bett. Es hatte so lange gedauert, bis sich nach dem Fest, das bei Ausbruch des Unwetters ins Haus verlegt worden war, endlich wieder Ruhe eingestellt hatte. Nachdem Mark aufgebrochen – oder besser gesagt, die Straße hinuntergestolpert war –, hatte sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen, nachdenklich und besorgt. Selbst jetzt fragte sie sich: Wo ist er?
    Sie war ihm und seinem Interesse an den Schriftrollen gegenüber so argwöhnisch gewesen. Jetzt verzehrte sie sich nach ihm. Sehnte sich danach, ihm zu vertrauen. Alles in ihr schrie, dass sie bei ihm in Sicherheit sein würde. Erschöpft überließ sie sich wieder dem Schlaf, denn ohne ihn wollte sie nicht hier in der Dunkelheit wach liegen.
    Dann hörte sie das Geräusch abermals – ein Kratzen oder Schaben an ihrer Tür, als ginge jemand an der Tür vorbei und zöge dabei seine Fingerspitzen über das Holz.
    Sie lag ganz still, und ihr Magen verkrampfte sich.
    Chrrr…
    Mina richtete sich auf und schlug die Bettdecke zurück. Bevor sie eingeschlafen war, hatte sie aus dem Flur einige Male Stimmen und Schritte gehört. Alle Räume waren mit Übernachtungsgästen belegt. Vielleicht war jemand krank und brauchte Hilfe. Besser, sie sah rasch nach, statt noch lange darüber nachzudenken, wer das Geräusch wohl verursacht haben könnte. Sie stand auf und zog sich ihren Morgenmantel über. Dann öffnete sie die Tür.
    In der Mitte des Flurs brannte auf einem Tisch eine kleine Lampe und bot ein wenig Licht. Aber sie sah niemanden. Nur ein seltsamer weißer Nebel stieg im Treppenhaus hoch. Ihr Herz tat einen Satz. Rauch? Konnte es unten brennen?
    Sie eilte durch den Flur. Je näher sie der Treppe kam, desto dichter wurde der Rauch … aber es roch nicht nach Qualm. Es schien eher … Nebel zu sein.
    Sie mochte keinen Nebel.
    Auf dem Berg, in jener letzten Nacht mit ihrem Vater, war ein ähnlicher Nebel aufgezogen. Natürlich ragten auf solcher Höhe die Berge direkt in die Wolken. Aber warum gab es Nebel im Haus? Panik schnürte ihr die Brust zu.
    Langsam ging sie die Treppe hinunter, mitten in den Nebel hinein. Hinter ihr fiel eine Tür

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