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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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ihren Vorschlag beherzigte, griff sie in die Tüte, zog den Kopf hervor und legte ihn auf der vorbereiteten Fläche ab.
    Eine Fülle dunkler Locken breitete sich aus. Das Haar war weder strähnig noch blutverklebt, was Dühnfort irritierte. Grünbraune Augen starrten aus einem marmorweißen Gesicht ins Leere, als erblickten sie etwas, das sonst niemand in diesem Raum sehen konnte. Die Brauen hoben sich wie mit Kohle gezeichnet von diesem Weiß ab, während die Lippen als fahles Graurosa mit ihm verschmolzen. Der Halsschnitt war präzise gesetzt, die Wundränder exakt. Scharfes Werkzeug. Skalpell, Schlachtermesser oder ein Profiküchenmesser, überlegte er. Dann wandte er sich ab und stieß die Luft aus, die er unwillkürlich angehalten hatte.
    Am Fenster stand Gina und versuchte erfolglos ihrem Gesicht diesen burschikosen Ausdruck abzuringen, der so typisch für sie war. »Manchmal frage ich mich, warum ich nicht Finanzbeamtin geworden bin. Trockene Zahlen, Aktenstaub, um vier den Griffel fallen lassen, und nachts kann man ruhig schlafen.«
    »Du würdest sterben vor Langeweile.« Er strich ihr kurz über den Oberarm, nahm erneut den Geruch nach Äpfeln wahr und fühlte sich getröstet. »Geht es wieder?«
    Sie verzog den Mund zu einer Art Lächeln. »Klar. Soll ich mich darum kümmern, dass die Jungs mit dem Zinksarg antraben? So wie ich die Weidenbach kenne, wird sie sich hier nicht mehr als sieben Worte entlocken lassen.«
    »Tu das, und dann kannst du noch die Kollegen einweisen, die gleich kommen werden. Das Gelände und der angrenzende Wald müssen abgesucht und die Anwohner befragt werden.«
    »Wird gemacht, Boss.« Gina zog das Handy aus einer Hosentasche und stieg durchs Fenster.
    Dühnfort kehrte zu Ursula Weidenbach zurück. »Wie ist Ihr Eindruck?«
    Sie nahm die Brille ab. »Fundort ist nicht Tatort. Aber da sind Sie sicher schon alleine draufgekommen. Zum Todeszeitpunkt gebe ich eine vage Schätzung ab. Achtundvierzig bis zweiundsiebzig Stunden. Morgen habe ich das präziser. Todesursache scheint klar zu sein. Aber bevor ich sie nicht auf dem Tisch gehabt habe, lege ich mich nicht fest. Die Leichenflecke sind sehr blass. Das ist ungewöhnlich. Derjenige, der den Kopf abgetrennt hat, kennt sich aus. Metzger oder Chirurg? Das ist ein sauberer Schnitt, ohne ein Zögern, durchgezogen bis zu den Wirbelkörpern, und auch die sind fachmännisch durchtrennt. Dafür braucht man neben Fachkenntnis ein sehr scharfes Messer.«
    »Das ist ja schon eine ganze Menge.«
    Die Rechtsmedizinerin wandte sich wieder der Toten zu, Dühnfort ging zu Buchholz an die Hintertür und erhielt die Bestätigung seiner Vermutung. Der nur durch ein Vorhängeschloss gesicherte Zugang war aufgebrochen worden, ebenso das Eisentor auf der Westseite des Grundstücks. »Vermutlich mit einem Bolzenschneider«, meinte Buchholz. »Ein paar Fasern konnten wir sichern. Das ist alles. Hinter der Mauer führt ein Weg durch den Wald, der ist knochentrocken. Reifenspuren kannst du also vergessen. Er wird dort geparkt haben. An der Zarge des Tors haben wir ebenfalls einige Fasern gesichert.«
    Dühnfort stieg die wenigen Stufen hinunter in den Hof bis zum Türchen in der Mauer und setzte sich auf den Bretterstapel. Wer immer die Leiche hier abgelegt hatte, kannte das Gelände. Warum hatte er sich die Mühe gemacht, sie so weit zu tragen, durch den Hof, die Treppe hinauf, durch den halben Brauraum bis zu den Kesseln?
    Ein Zitronenfalter flatterte auf Dühnfort zu, landete kurz auf einem der Bretter und klappte die gelben Flügel auf und zu. Ein zartes Gelb, wie erstes Morgenlicht, als ob es in all diesem Elend doch Hoffnung gäbe.
    ***
    Kurz vor Mitternacht stieg Dühnfort die Stufen zu seiner Wohnung in der dritten Etage eines alten Hauses in der Pestalozzistraße hinauf. Im Briefkasten war nur Reklame gewesen, die er nun auf die Ablage im Flur legte.
    Für heute hatten sie getan, was sie tun konnten. Weder auf dem Gelände noch im Wald hatte man die Tatwaffe gefunden, geschweige denn Kleidung und Papiere des Opfers. Von den Anwohnern war niemandem etwas Außergewöhnliches aufgefallen. Die alte Brauerei war kein geheimer und vergessener Ort. In der Gegend kannte man sie, da sie an der Strecke zu einem Biergarten lag, der im Sommer Ausflugsziel für Radfahrer und Wanderer war.
    Dühnfort hängte das Sakko auf und ging in die Küche. Aus dem Kühlschrank holte er Eier, Butter, ein Stück Gruyère und einen gut gekühlten Chardonnay. Er entkorkte die

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