So unselig schön
eine Treppe hinaufzutragen und dann noch durch den halben Raum, um ihn in diesem Sudkessel …«, Dühnfort suchte nach dem passenden Wort, »zu präsentieren?«
Alois, der Dühnforts Ausführungen mit skeptischem Blick gefolgt war, hakte hier ein. »Präsentiert hat er ihn nicht. Dann hätte er Kopf und Körper zur Schau gestellt und nicht in Folie verborgen.« Damit hatte Alois recht.
»Trotzdem ist dieser Ablageort nicht zufällig gewählt. Wir sollten Frau Senger fragen, ob am Samstag, als sie schon einmal dort war, die Tür zur Treppe und die in der Mauer verschlossen waren. Gina, machst du das? Und Alois, du siehst dir mal den Eigentümer des Geländes an.«
Eine Haarsträhne war Gina ins Gesicht gefallen, sie schob sie hinters Ohr. »Ich kümmere mich auch noch um den Schmetterling. Wer weiß, ob es diese Art bei uns in der Gegend überhaupt gibt.«
Buchholz, der gedankenverloren Muster auf seinen Block gezeichnet hatte, legte den Kuli beiseite. »Auf alle Fälle suchen wir keinen Schwächling. Er muss die Leiche getragen haben. Wenn er eine Sackkarre benutzt hätte, dann hätten wir an den Treppenstufen Abrieb von Lack und Metall finden müssen. Haben wir aber nicht.«
»Gut«, sagte Dühnfort. »Fangen wir an.«
»Und was ist mit unserer Zeugin? Soll ich die nicht überprüfen?« Alois verschränkte die Arme.
»Du denkst, sie ist involviert?«
»Sie kennt das Areal. Außerdem hat sie Jugendstrafen wegen Körperverletzung und Ladendiebstahls. Wer weiß, mit welchen Leuten sie verkehrt.«
»Wie lange ist das her?«
»Seit einiger Zeit scheint Schluss damit zu sein«, räumte Alois widerwillig ein. »Seit sie eine Ausbildung macht und eine Wohnung hat.«
»Gibt es irgendwelche Ungereimtheiten in ihrer Aussage? Oder hat sie doch die Leiche fotografiert?« Dühnfort gefiel Alois’ Abneigung gegen Vicki Senger nicht.
Der hob die Hände. »Auf dem Speicherchip waren nur drei Aufnahmen des Sicherungskastens.«
»Trotzdem: Wirf einen Blick in ihre Akten, und schau, wer ihre Freunde sind.« Zu Dühnforts größten Sorgen gehörte die, einmal etwas zu übersehen, einer scheinbaren Nebensächlichkeit keine Beachtung zu schenken und dadurch einen Täter ungeschoren davonkommen zu lassen.
***
Das Institut für Rechtsmedizin befand sich in der nahe gelegenen Nussbaumstraße. Kurz nach eins machte Dühnfort sich zu Fuß auf den Weg. Über den Himmel zogen in zarten Schlieren erste Föhnwolken. Die Stimmen der Vorbeieilenden verwoben sich mit Verkehrslärm und dem Geklapper und Geklirr, das aus offenen Büro- und Restaurantfenstern drang, zu einem dichten Geräuschteppich.
Dühnfort passierte das städtische Bestattungsinstitut mit seiner Rokokofassade, ging an einer Kirche vorüber, deren Namen er nicht kannte, und ertappte sich für einen Moment bei dem Gedanken, in ihre dämmrige Kühle einzutreten, sich im flüchtigen Duft von Weihrauch und Kerzen der Illusion hinzugeben, Gerechtigkeit sei möglich, und dort Kraft für diese Ermittlung zu sammeln. Das Gefühl, keine Zeit zu haben, hinderte ihn ebenso daran wie seine Unfähigkeit zu glauben. Die letzten Reste von Religiosität waren ihm in zehn Jahren Dienst bei der Mordkommission abhandengekommen. Der Anblick zu vieler sinnlos Gestorbener, grausam Gequälter, willkürlich Getöteter hatte in ihm jeden spirituellen Impuls erstickt.
Einige Minuten später erreichte er die rot-weiße Schranke, welche die Zufahrt zu den Innenstadtkliniken regelte. Kurz darauf betrat er Dr. Ursula Weidenbachs Reich durch eine Tür, deren Milchglasscheibe die Aufschrift Institut für Rechtsmedizin der Universität München trug.
Der Fliesenboden war feucht, eine neongelbe Plastikpyramide warnte vor Rutschgefahr, weiter hinten schwang eine Putzfrau im Takt einer nur für sie hörbaren Melodie, einen Mopp rhythmisch hin und her. Es roch nach Putzmittel und Formalin, von irgendwoher zog der schwache Rauchgeruch einer heimlich gepafften Zigarette. Eine Gruppe Studenten überholte ihn und strebte einem der Lehrräume zu. Dühnfort öffnete eine Schwingtür und trat in den Sektionssaal, einen gekachelten Raum, in dem es immer kalt war, obwohl die Sonne durch die Fenster schien und Rechtecke aus Licht auf den gekachelten Boden warf. An einem Holzgestell, das Dühnfort an eine Hutablage erinnerte, baumelten, mit metallenen Klips befestigt, ein Dutzend gelbe Gummihandschuhe. Jedes Mal, wenn er dieses Gebilde sah, dachte er an moderne Kunst.
Drei Stahltische befanden sich im
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