So unwiderstehlich reizvoll
1. KAPITEL
Wie es sich wohl um diese trübe Jahreszeit auf den Cayman-Inseln lebte? Juliet ließ ihrer Fantasie freien Lauf.
Fraglos war es in der Karibik schöner als hier – in der Londoner Arbeitsagentur. Ein trister Warteraum und ein abgetretener Teppich, nichts glich dem gediegenen Luxus, den Juliet von klein auf kannte. Tränen des Selbstmitleids stiegen ihr in die Augen. Augen, die ihren Vater stets an Veilchen erinnert hatten. Juliet hatte sie von ihrer Mutter geerbt, an die sie sich aber nicht erinnern konnte. Ihre Mutter war gestorben, als Juliet noch ein Baby war. Wie lange das alles zurücklag.
Würde ihr Vater noch leben, hätte ein Mann wie David Hammond sie nicht so hintergehen können. Doch leider starb er an einem Hirntumor, kurz vor ihrem neunzehnten Geburtstag. Ein Jahr später war sie David begegnet und hatte ihn für den Mann ihres Lebens gehalten.
Dass er sich nur für ihr Aktienerbe interessierte, hatte sie nicht bemerkt. Ihre Hochzeit mit David war als großes gesellschaftliches Ereignis gefeiert worden. Keine drei Jahre später war er mit der Frau durchgebrannt, die er ihr als seine Sekretärin vorgestellt hatte. Die beiden hatten alles von langer Hand geplant. David hatte Juliets Vertrauensseligkeit ausgenutzt und vor seiner Flucht ihr gesamtes Vermögen so im Ausland angelegt, dass sie nicht daran kam.
Wie hatte sie nur so naiv sein können! Blind für seinen wahren Charakter, war sie Davids jungenhaften Charme erlegen. Hinweise ihrer Freunde über Davids Seitensprünge hatte sie nicht einmal überprüft. Jetzt stand sie da mit dem lächerlich geringen Betrag, den er auf dem gemeinsamen Konto gelassen hatte und der bald aufgebraucht sein würde.
Natürlich besaß Juliet Freunde, die zu ihr standen und ihr auch finanziell Unterstützung anboten, was sie jedoch strikt ablehnte. Sie wollte ihre Freundschaften nicht derartigen Belastungen aussetzen und sah nur eine Lösung: Sie brauchte eine eigene Existenzgrundlage. Wie sie die ohne jegliche Qualifikationen bekommen sollte, war ihr allerdings schleierhaft. Nach der Begegnung mit David hatte sie, unerfahren, wie sie war, alle beruflichen Überlegungen in den Wind geschlagen.
Verstohlen sah Juliet sich in dem Wartezimmer um. Was wohl die anderen Wartenden, drei Männer und zwei Frauen, an Zeugnissen vorzuweisen hatten? An der trostlosen Umgebung jedenfalls schienen sie sich nicht zu stören. Juliet wurde den Verdacht nicht los, dass zumindest die Frau in den zerrissenen Jeans und dem grellen T-Shirt unter dem Einfluss von Alkohol oder anderen Drogen stand. Ein größerer Kontrast zu Juliets korrekten Nadelstreifenkostüm und den eleganten Pumps war kaum vorstellbar.
„Mrs. Hammond?“ Eine Sachbearbeiterin betrat den Raum und sah sich suchend um. „Das bin ich.“ Seit der Scheidung hieß sie zwar wieder Lawrence, doch ihre Papiere liefen noch auf ihren Ehenamen.
„Bitte kommen Sie mit in mein Büro.“
Die Tasche unter den Arm geklemmt folgte Juliet der rothaarigen und nicht mehr ganz jungen Frau.
„Setzen Sie sich bitte, Mrs. Hammond. Haben Sie die Formulare ausgefüllt?“
„Ja, hier sind sie.“ Juliet reichte der Sachbearbeiterin die Blätter, die sie vor lauter Aufregung viel zu fest zusammengerollt hatte und die sich nun nicht glätten ließen. „Entschuldigung“, bat sie lächelnd.
Maria Watkins, so jedenfalls lautete das Namenskärtchen auf dem Schreibtisch, reagierte nicht darauf. Fassungslos blätterte sie in den Unterlagen.
„Sie sind vierundzwanzig, Mrs. Hammond, und haben in Ihrem ganzen Leben noch nie gearbeitet?“
„Nein.“
„Und warum nicht?“
Was ging das diese Frau an? „Tut das etwas zur Sache? Ich brauche in Zukunft einen Job, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Reicht das nicht als Argument?“
„Leider nein, Mrs. Hammond. Arbeitgeber verlangen einen ausführlichen Lebenslauf. Wenn ich Sie vermitteln soll, muss ich wissen, warum Sie weder Zeugnisse noch Referenzen vorweisen können.“
Juliet schluckte. „Ich war verheiratet“, erklärte sie.
„Das sehe ich.“ Mrs. Watkins hielt den Fragebogen hoch. „Ihre Ehe wurde bereits vor neun Monaten geschieden. Haben Sie während der ganzen Zeit nichts getan?“
„Nein.“
„Das macht es leider nicht gerade einfach, einen Job für Sie zu finden, Mrs. Hammond. Sie haben weder Qualifikationen noch können Sie Empfehlungen vorweisen. Wie soll ein Chef denn wissen, ob Sie zuverlässig sind?“
„Natürlich bin ich das!“,
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