So weit der Wind uns trägt
erfüllen, und seine Frau gab sogar noch ihren Segen dazu! »Ich werde ihn mir in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen.«
Fernando sah nicht, wie seine Frau die Augen verdrehte.
In aller Ruhe
, herrje! Von ihr aus konnte er unverzüglich abreisen. Seit er den ganzen Tag zu Hause saß, war ihr Leben eine einzige Qual. Der Mann war für nichts zu begeistern, was nicht mit Flugzeugen, dem Militär oder dem Alentejo zu tun hatte. Er spielte kein Bridge, tauschte nicht gern Klatsch mit ihren Freunden aus, hatte kein Faible für Gourmet-Restaurants. Er hatte sich von seinen Kindern entfremdet – wenn er ihnen denn jemals nahe gewesen war –, und er spielte nicht gern mit seinen Enkeln, was auf Gegenseitigkeit beruhte, weil er ihnen Angst einjagte. Er war schlicht und ergreifend nicht in ihren Alltag zu integrieren. Sie wollte ihn dringend aus dem Weg haben, und zwar lieber heute als morgen.
Fernando legte die Zeitung beiseite, die auf seinem Schoß lag und in der er die letzte halbe Stunde gar nicht mehr gelesen hatte. Er erhob sich aus seinem Ohrensessel. »Himmel, was für eine unerträgliche Hitze hier drin. Ich bin in meinem Arbeitszimmer, falls du mich suchst.«
Elisabete hob nicht einmal den Kopf, als er den Raum verließ.
Fernando war völlig aus dem Häuschen. Er fühlte sich mit einem Schlag um zwanzig Jahre jünger. Die Perspektive, ein paar Tage, vielleicht sogar Wochen, mit der geliebten Frau in der nicht minder geliebten Heimat zu verbringen, setzte eine Energie in ihm frei, wie er sie seit Jahren nicht mehr verspürt hatte. Er hob den Telefonhörer ab und wählte die vertraute Nummer.
»Jujú,
meu amor
, ich habe großartige Neuigkeiten.«
»Na?«
»Wir reisen gemeinsam in den Alentejo, nur du und ich. Wir können uns ein Haus mieten. Oder ein Zimmer auf einer der Quintas nehmen, die inzwischen zu Pensionen umfunktioniert wurden.«
»Oh … und wann soll es losgehen?«
»So schnell wie möglich! Ah, Jujú, es wird phantastisch!«
»Das wird es nicht.«
»Warum nicht? Die Jahreszeit ist perfekt für eine solche Reise, und die …«
»Wir werden nicht fahren«, sagte sie und legte auf. Sie war froh, dass Fernando sie nicht sehen konnte. Er hatte noch nie mit weinenden Frauen umgehen können.
37
W as brachte ein neuer Plattenspieler, wenn die Platten alt waren? Was sollte das für eine Party sein, auf der man von Rock ’n’ Roll anscheinend noch nie gehört hatte? Die Frauen saßen schnatternd auf der einen Seite des Raums, die Männer palavernd auf der anderen, und niemand würdigte die alentejanische Bauernmusik von einer Schallplatte, die total verkratzt war. Ihre Tante hätte besser eine Combo bestellt, dann würde vielleicht jemand tanzen. Aber wahrscheinlich brauchten die Gäste noch ein bisschen mehr Schnaps, um aus sich herauszukommen. Die Leute hier waren sehr sonderlich. Marisa bereute schon ihre Entscheidung, die Ferien bei ihrer Tante zu verbringen. Doch allein ließ man sie ja noch nicht reisen – wahrscheinlich hätte sie sich das auch gar nicht getraut –, und ihre Eltern in den Luftkurort in der Schweiz zu begleiten war ihr als die schlechtere Alternative erschienen. Was für ein Fehler: Nichts konnte schlimmer sein als dieses verschlafene Nest mit diesen kauzigen Leuten. Was hatte sie von der sehr großzügig bemessenen Reisekasse – da waren ihre Eltern über sich hinausgewachsen –, wenn es weit und breit keine schicken Geschäfte oder Cafés gab?
Marisas einziger Hoffnungsschimmer war dieser Junge, der sich angeberisch Rick nannte, und das Fest in Vila Seca, zu dem er sie eingeladen hatte. Hatte er? Eigentlich war es ja keine richtige Einladung gewesen, oder? Denn wäre es eine gewesen, dann müsste sie sich jetzt keine Gedanken darüber machen, wie sie dort hinkommen sollte. Dann würde er sie abholen. Aber so? Nachts allein mit dem Fahrrad in der Gegend herumzuirren erschien Marisa nicht sehr ratsam. Und ihre Tante oder ihren Onkel mochte sie auch nicht gern bitten, sie zu dem Fest zu bringen – sie würden lästige Fragen stellen, oder, was weitaus schrecklicher wäre, mitkommen wollen. Hm, sie musste sich etwas einfallen lassen. Denn diesen Ricardo wollte sie unbedingt wiedersehen.
Abgesehen von seiner üblen Akne war er ein ziemlich gutaussehender Typ. Er hatte grüne Augen, oder jedenfalls grünlich glitzernde. Das allein fand Marisa umwerfend. Darüber hinaus hatte er eine tolle Figur, eine schöne männliche Stimme, dichtes schwarzes Haar, ein
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