So weit der Wind uns trägt
Straßen stehen und Alkoholsünder aus dem Verkehr ziehen wollen. Wenn sie ihn anhielten, hätte er ein Problem. Mehrere Probleme – und der Alkoholpegel in seinem Blut wäre noch das geringste davon. Aber wie sollte er seinen Plan in die Tat umsetzen, wenn er nicht einmal ein Auto hatte? Auf einem Motorroller ließ es sich nur sehr schwer knutschen, und genau das hatte er sich für heute Abend vorgenommen. Diese Marisa war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er hatte herumgefragt und herausgefunden, dass sie aus Lissabon kam, die Ferien bei ihren Verwandten verbrachte und nächste Woche wieder abreisen würde. Also blieb ihm nicht mehr viel Zeit.
Er rumpelte über unbefestigte Nebensträßchen und schaltete jedes Mal, wenn er parallel zur Hauptstraße fuhr, die Scheinwerfer aus. Viel Sinn machte das nicht, schließlich war Vollmond. Sein Wagen wirbelte hinter sich eine enorme Staubwolke auf, die weithin sichtbar war, sobald der Mond hinter den Wolken hervorlugte. Dennoch gelang es ihm, unbehelligt sein Ziel zu erreichen. Er parkte den Wagen ein wenig abseits vom Festplatz, so dass er, wenn er später mit Marisa dorthin ginge, ein paar dunkle Gassen passieren musste. Dann würde er den Arm um sie legen und sie eng an sich ziehen, und dann …
»He, Eiterbeule! Wieso hast du uns nicht mitgenommen, wenn du mit dem Auto hier bist?« Joaquim war wie aus dem Nichts neben Ricardo aufgetaucht.
»Geht dich nichts an, Blödmann. Außerdem hast du es ja auch allein hierher geschafft.«
»Hier.« Joaquim reichte Ricardo seine Flasche Bier. Ricardo trank einen großen Schluck und gab sie ihm zurück.
»Und?«
»Na ja.«
»Hm.«
»Kannst du laut sagen.«
Sie führten ständig diese Art der Konversation, und sie verstanden einander glänzend. Mehr hatten sie sich eigentlich auch nicht zu sagen. Als sie den Tanzboden erreichten, der in der Mitte des Dorfplatzes aufgebaut worden war, sahen sie sich nach bekannten Gesichtern um.
»Manuel müsste auch hier irgendwo sein.«
»Hm.« Ricardo suchte nach einer ganz anderen Person. Aber von ihr war weit und breit nichts zu sehen. »Hol uns noch ein Bier. Ich halte hier die Stellung.«
Joaquim tat, wie ihm geheißen. Ricardo war ihr Anführer, daran gab es nichts zu rütteln. Man tat besser, was er verlangte.
Kaum war er um die Ecke gebogen, entdeckte Ricardo Marisa. Er fasste es nicht! Sie kam zusammen mit Tiago Andrade, diesem Einfaltspinsel! Dieser Vollversager, der Sohn des Elektrikers, bei dem Ricardo es ganze drei Tage ausgehalten hatte, bevor er angesichts der Unfähigkeit des Mannes abgehauen war, dieser Tiago also hatte sich irgendwie zum Begleiter des attraktivsten Mädchens aufgeschwungen. Wie hatte er das geschafft? Und wie hielt Marisa es an der Seite dieses Dümmlings aus?
Dieselbe Frage hatte Marisa sich auf der Fahrt zum Fest mehrmals gestellt. Tiago war plump und unterbelichtet. Zum Glück war er aber auch sehr schüchtern, so dass sie sich über Zudringlichkeiten wohl keine Sorgen zu machen brauchte. Kaum erreichten sie den Dorfplatz, da sah Marisa auch schon Ricardo. Er zwinkerte ihr zu, was sie unwiderstehlich fand.
»Hör mal, Tiago, ich müsste mal eben das stille Örtchen aufsuchen. Aber vergnüg dich ruhig schon mal ohne mich.« Damit ließ sie den verdutzten Jungen einfach stehen. Sie schlenderte zur Dorfkneipe, ging hinein und blieb am Tresen stehen. Ihr Herz klopfte laut und schnell. Um sie herum waren nur Männer, die sie anstarrten wie einen feindlichen Eindringling. Der Mann hinter dem Tresen fragte sie nach ihrem Wunsch. Sie bestellte eine Limonade und hoffte, dass Ricardo schlau genug war, ihr zu folgen. Er würde doch wohl nicht ernsthaft annehmen, dass sie die Begleitung Tiagos der seinen vorzog?
»
Olá.
« Während sie in ihrer Geldbörse nach Münzen gefischt hatte, um ihre Limo zu bezahlen, hatte Ricardo sich neben sie gestellt. Marisa war überrascht zusammengezuckt, als sie seine unverwechselbare Stimme plötzlich aus so großer Nähe hörte.
»Habe ich dich erschreckt?« Er grinste sie an.
»Natürlich nicht. Warum, hattest du das etwa vor?«
Er schüttelte den Kopf. »Für mich ein Bier«, rief er dem Wirt zu. Um seine Verlegenheit zu überspielen, kramte er umständlich in seinen Hosentaschen nach Geld.
Als das Bier auf dem Tresen stand, nahm er die Flasche und prostete Marisa zu: »
Saúde
.«
»
Saúde
.«
Sie sahen sich an und blieben dabei länger stumm, als es ihnen angenehm war. Jeder überlegte fieberhaft, was
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