So weit der Wind uns trägt
hatte.
Und für wen sollte er sich eigentlich noch weiter abrackern? Für den faulen Herrn Sohn gewiss nicht, der schlug sich ganz erfolgreich mit seinen Spitzeleien durchs Leben. Für wen sonst? Für seine geschätzte Ehefrau, von der er schon fast vergessen hatte, wie sie aussah? Oder für Laura, von der Paulo behauptete, dass sie gar nicht seine, Ruis, Tochter war, was er ausnahmsweise glaubte? Für seine lieben Enkelkinderchen, von denen eines ein krimineller Halbstarker und zudem nicht einmal sein eigen Fleisch und Blut war, während die anderen beiden in Lissabon zu verzogenen Gören heranwuchsen, die mit der Bewirtschaftung seiner Quinta nichts zu schaffen haben wollten? Nein, seit seine Mutter gestorben war – als 96 -Jährige, was Rui Anlass zu der Hoffnung gab, dass auch er ein biblisches Alter erreichte –, gab es niemanden mehr, für den er das Gut hegen und bewahren musste. Er würde alles verkaufen, nach Lissabon gehen und sich dort mit seiner großen Liebe ein lustiges Leben machen. In aller Öffentlichkeit.
Natürlich würde er alles auf eine Art regeln, wie man sie von einem
Gentleman
erwartete. Jujú war ohnehin noch die im Grundbuch eingetragene Eigentümerin jenes Stückes Land, das sie als Mitgift in die Ehe eingebracht hatte. Sie konnte sich fortan allein darum kümmern – was keine schwierige Aufgabe war, denn er hatte den Ertrag des Landes in den vergangenen vierzig Jahren fast verdreifacht. Es warf hübsche Gewinne ab, die seine Frau Gemahlin gern für sich einstreichen durfte. Seinen Sohn Paulo würde er mit einem großen Aktienpaket bedenken, das sicher seine Viertelmillion Dollar wert war. Laura würde er eine größere Summe Bargeld überweisen. Auch wenn sie nicht seine leibliche Tochter war, so hatte er sie doch immer als solche betrachtet und geliebt. Das ließ sich nicht einfach so wegwischen. Und das arme Kind konnte ja nichts für die Fehltritte seiner Mutter.
Damit wären alle zufriedengestellt. Nach dem Verkauf der Ländereien und der Quinta das Laranjeiras, um die sich Sandeman, Graham oder einer der anderen großen Portweinproduzenten oder -abfüller bestimmt prügeln würden, blieb ihm ein stattliches Vermögen. Mehr, als er in der Lage war auszugeben. Selbst wenn er hundert würde. Und mehr als genug, um seinem heißgeliebten Ronaldo ein behagliches Leben zu bereiten und seine Karriere voranzutreiben. Er war ein grauslicher Schauspieler. Wenn er nicht bald Unterricht bei einem Profi nahm, würde ihm sein sagenhaftes Aussehen irgendwann auch nichts mehr nützen.
Fernando glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Sein Neffe, Ronaldo, saß am Tisch eines Kaffeehauses – und zwar zusammen mit dem Ehemann von Jujú. Was hatte das zu bedeuten? Was hatten die beiden miteinander zu schaffen? Er bezweifelte, dass Jujú darüber mehr wusste als er, dennoch würde er sie bei nächster Gelegenheit fragen. Denn dass er selber sich an den Tisch begab, um Ronaldo zu begrüßen, und damit notgedrungen Freundlichkeiten mit seinem alten Widersacher austauschen musste, kam überhaupt nicht in Frage. Der Kerl verursachte ihm noch immer Unbehagen. Auch jetzt noch war er ein Geck. Er trug modische helle Anzüge und einen weniger modischen, dafür umso lachhafteren dünnen Oberlippenbart. Trotzdem musste Fernando dem Mann neidlos zugestehen, dass er sich für sein Alter – er musste etwa so alt sein wie er selber, nämlich 67 – sehr gut hielt. Fernando beschleunigte seinen Schritt und hoffte, dass keiner der beiden ihn gesehen hatte.
Als er zu Hause ankam, schwitzte er. Er schwitzte in letzter Zeit andauernd, aber das war ja auch nicht weiter verwunderlich. Selbst bei Außentemperaturen von rund zwanzig Grad bestand Elisabete darauf, den Kamin brennen zu lassen. Sie nämlich fror immerzu. Trotz der Hitze in ihrem Wohnzimmer saß sie im wollenen Twinset vor dem flackernden Feuer. Sie war völlig vertieft in die Lektüre eines Klatschblattes, das zu zwei Dritteln mit Fotos der Queen gefüllt war. Ihrer Namensvetterin. Alle paar Minuten hob sie den Blick von ihrer Zeitschrift und rief aus: »Hör dir das an, Fernando!« Oder: »Das ist ja nicht zu fassen!« Es interessierte ihn nicht im Mindesten, was die englische Königin während ihres Lissabon-Aufenthaltes gegessen hatte, wie sie gekleidet war oder welche Sehenswürdigkeiten sie besucht hatte. Dennoch hörte er seiner Frau zu, wenn sie ihm ein ihrer Meinung nach besonders spannendes Detail vorlas. Was blieb ihm schon anderes
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