So weit der Wind uns trägt
übrig? Die Tage waren so lang geworden, seit sie aus Paris zurückgekommen waren und er aus dem Dienst ausgeschieden war. So leer. Die Frauen hatten es gelernt, ihre Tage zu füllen, auch wenn die Kinder längst aus dem Haus waren. Er nicht. Anders als seine Frau, und auch anders als Jujú, konnte er nicht Stunden damit verbringen, zu lesen, zu stricken oder sich Gedanken über neue Gardinen zu machen. Er fühlte sich nutzlos und alt.
Dabei hätte es durchaus sinnvolle Dinge gegeben, mit denen er sich gern beschäftigt hätte. Er hatte plötzlich große Sehnsucht nach den Tätigkeiten seiner Jugend: Holz hacken, Korkeichen schälen, Wein lesen, Gras mähen, Oliven ernten. Ein unerklärliches Heimweh nach dem Alentejo hatte von ihm Besitz ergriffen. Aber alle Bande dorthin waren gekappt, und seine Frau verspürte nicht den Wunsch, Ferien in dieser
gottverlassenen Gegend
zu verbringen. Es zog sie mehr ins Ausland, an die Côte d’Azur, in die italienischen Seebäder, in die mondänen Großstädte. Wenn es schon Portugal sein musste, dann fuhr sie am liebsten in ihre Villa nach Cascais, die sie von ihren Eltern geerbt hatte, oder in die feudale Quinta von Freunden in Sintra. Und Fernando beugte sich Elisabetes Willen. Es war das mindeste, was er tun konnte, um für seine jahrzehntelange Untreue zu büßen.
Wie schön wäre es, jetzt, in diesem Moment, mit Jujú unter einem Olivenbaum zu sitzen, sie mit Grashalmen zu kitzeln und ihr dabei zuzusehen, wie sie in den wolkenlosen Himmel starrte. Mit halbem Ohr hörte Fernando seine Ehefrau eine weitere vermeintlich interessante Passage aus ihrem Käseblatt vorlesen. Konnte sie nicht eine Sekunde still sein? Es war so wunderbar, sich den Tagträumen hinzugeben. Fernando malte sich aus, wie er mit Jujú in einem hübschen Häuschen wohnte, einem weißen mit blau gestrichenem Sockel und blauen Rahmen um Fenster und Türen, mit Riesenschornstein, auf dem die Störche nisteten, und mit einem großen Grundstück drum herum, auf dem er Obst und Gemüse anbaute. Oh, und dann liefe noch ein kleiner Bach mitten durch ihren Garten, in dem sie ihre Füße kühlen konnten und in dem ihre Enkel, die sie häufig besuchen kamen, sich gegenseitig nass spritzten. Sie würden eine Veranda hinter dem Haus anlegen, und dort säßen sie bis spät in die Nacht in ihren Schaukelstühlen, bei einem Glas Wein und mit Blick auf einen sternenbedeckten Himmel. Und ganz gleich, ob sie schwiegen oder ob sie angeregt plauderten – es wäre nie diese hohle Stille zwischen ihnen, die er immer in Gegenwart seiner Frau spürte.
»Hast du mir überhaupt zugehört?«
Fernando schrak aus seinen Gedanken auf. »Natürlich, meine Liebe.«
»Aha. Und was denkst du? Haben sie recht?«
»Hör auf, mich wie einen Prüfling zu behandeln. Nein, ich denke, sie haben nicht recht. Und damit Ende der Diskussion.«
Elisabete sah ihren Mann skeptisch an. Wenigstens seine Reaktionsschnelligkeit hatte er noch nicht eingebüßt. Sie wusste genau, dass er keine Ahnung hatte, wovon sie sprach, aber nach so vielen Jahren in der Politik war er darin geübt, sich Zweifel oder Unwissenheit niemals anmerken zu lassen.
»Weißt du, Fernando, das Rentnerdasein bekommt dir überhaupt nicht. Vielleicht solltest du einmal eine schöne Reise machen. Nicht nach Cascais oder Sintra, ich weiß sehr wohl, dass du dich dort unbehaglich fühlst. Fahr doch mal in deinen geliebten Alentejo. Fälle ein paar morsche Korkeichen, was weiß ich. Aber tu irgendetwas. Es ist ja nicht auszuhalten mit dir, wenn du permanent diese Leidensmiene aufsetzt.«
Hatte er laut gedacht? Konnte sie Gedanken lesen? Oder kannte sie ihn und seine Mimik – wobei von »Leidensmiene« gewiss keine Rede sein konnte – einfach so gut, dass sie erkannt hatte, wonach er sich sehnte? Eine erschreckende Vorstellung.
»Nun sieh mich nicht so an wie ein Junge, den man beim Griff in das Bonbonglas erwischt hat. Ich kenne dich, Fernando Abrantes, und ich weiß, dass du im Grunde deines Herzens noch immer ein Bauer bist. Falls es dich beruhigt: Ich möchte dir nur Gelegenheit geben, dich auszutoben, bevor du auf die Idee kommst, deine überschüssige gärtnerische Energie an meinen Rosen auszulassen.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, aber ihr Blick blieb kühl.
»Dein Vorschlag ist gar nicht mal so schlecht.« Fernando bemühte sich, seine Aufregung nicht gar zu deutlich zum Ausdruck zu bringen. Das war es! Er konnte sich seinen innigsten Wunsch
Weitere Kostenlose Bücher