Söhne der Erde 06 - Das Erbe des blauen Planeten
Camelo war mit einem Satz neben ihm. Auf der anderen Seite des Fahrzeugs zogen Gillon und Karstein die Waffen. Die Fremden hatten erschrocken die Köpfe herumgeworfen. Jetzt prallten sie zurück, und vor ihren Füßen brach der Tempelhüter langsam zusammen.
»Mircea Shar!«
Dayels gellender Schrei schnitt durch die jähe Stille. Angst flatterte in den Augen der zerlumpten Elendsgestalten auf: sie hatten die Männer, die da vor ihnen standen, schon einmal kämpfen gesehen und wußten, daß ihnen auch ihre Überzahl nichts nützen würde. Zwei, drei von ihnen warfen sich herum und rannten. Die anderen folgten ihnen, brachen blindlings durch das Gestrüpp und waren Sekunden später wie ein Spuk verschwunden.
Niemand verfolgte sie.
Über den staubigen, hitzeglühenden Felsen schien das Schweigen wie ein schweres Gewicht zu lasten. Mircea Shar lag verkrümmt am Boden, halb auf der Seite, eine Hand gegen die Brust gepreßt. Mit drei Schritten war Charru bei ihm, ließ sich neben ihm auf die Knie sinken und drehte ihn behutsam auf den Rücken.
Seine Kehle wurde eng, als er die Messerwunde sah.
Der Tempelhüter starb, hatte nur noch Minuten zu leben. Sein Gesicht war weiß und schweißbedeckt, und ein seltsamer Ausdruck von Verwunderung lag in seinen Augen. Charru schob vorsichtig einen Arm unter seinen Körper. Mircea Shars Lippen zuckten, und blutiger Schaum erschien in seinen Mundwinkeln.
»Fürst...«,flüsterte er.
»Nicht sprechen! Laß mich nach der Wunde sehen.«
»Nein ...Es ist zu Ende...« Die Stimme klang schwach und tonlos, doch das fahle Gesicht spiegelte jetzt eine tiefe Ruhe. »Dayel ...er war nicht richtig bei sich, als er aus der Stadt floh. Er hat keine Schuld.«
»Ich weiß«, sagte Charru leise.
»Du mußt ihm helfen. Er ist jung, und er hat sonst niemanden, versprichst du das?«
Charrus Augen brannten. »Ja, Mircea Shar.«
»Die Priester - haben dich verraten, Fürst. Aber du darfst .... darfst das Volk des Tempeltals nicht im Stich lassen. Du mußt - Bar Nergal aufhalten, denn er versucht, die Macht wieder an sich zu reißen. Er würde ...würde alle ins Verderben führen...«
Seine Stimme brach.
Mircea Shars Augen öffneten sich weit, wie um noch einmal das Sonnenlicht in sich aufzunehmen. Ein Schauer durchlief seinen Körper, und sein Blick verschleierte sich, als sehe er schon jene fremde Welt jenseits der dunklen Schwelle.
»Es ist gut«, flüsterte er. »Es ist gut, frei zu sterben ...Charru? Bist du noch da?«
»Ja, Mircea Shar.« Charru war sich bewußt, daß ihn der Tempelhüter schon nicht mehr wahrnahm.
»Ich wünsche euch Glück ...Ich wünsche euch, daß es euch gelingt - zu den Sternen zu fliegen ...Zu den Sternen...«
Er verstummte.
Noch einmal verkrampfte sich sein Körper, dann erschlaffte er in Charrus Armen. Sein Kopf sank zur Seite, und über die aufgerissenen Augen schob sich der dumpfe Schleier des Todes.
*
Dayel weinte, als sie im Schutz der Mauern den Scheiterhaufen errichteten. Charru wußte nicht, ob Mircea Shar die Feuerbestattung gewollt hatte, aber es gab kein anderes Ritual, es gab keinen schwarzen Fluß mehr, auf dem der tote Körper nach dem Glauben der Priester in die Ewigkeit trieb. Die Flammen loderten und tauchten die Gesichter der Menschen in blutroten Widerschein. Die Priester hatten sich feindselig und schweigend zurückgezogen. Nur Dayel war da. Und die wenigen Männer und Frauen des Tempeltals, die begriffen, daß es ihr Schicksal gewesen war, dem Mircea Shars Sorge gegolten hatte.
Charru und Camelo, Dayel und der graubärtige Scollon hielten die Totenwache.
Das Gesicht des jungen Akolythen war weit und starr. Erst als sie im Morgengrauen den Platz verließen, fand er Worte.
»Es war meine Schuld«, flüsterte er. »Wenn ich nicht davongelaufen wäre ...«
»Du warst verwirrt und wußtest nicht, was du tatest«, sagte Charru ruhig.
»Aber ich hätte es wissen müssen. Es war doch verrückt! Ich habe einfach nicht nachgedacht ...«
»Ich weiß, wie dir zumute ist, Dayel. Du mußt damit fertig werden - ohne davonzulaufen. Und nun komm! Versuch einfach, ein paar Stunden zu schlafen.«
Der Junge nickte nur.
In seinen Augen lagen immer noch Furcht und Verwirrung, aber er nahm sich zusammen. Stumm folgte er den anderen in das unterirdische Labyrinth. In der Tür des großen Raums, in dem sich ein Teil der Menschen versammelt hatte, blieb er unschlüssig stehen, doch Camelo legte ihm wie selbstverständlich die Hand auf die Schulter und
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