Söldnerehre (German Edition)
sich unbewusst auf sie. Sie würden im Moment nichts lieber tun, als auf irgendeinen Feind einzuschlagen, nur um etwas zu tun zu haben.
Pollok merkte auf.
Die Sonne. Die Sonne ging auf.
Innerhalb der nächsten Stunde würden seine Generäle die Aufstellung der Truppen abgeschlossen haben und angreifen.
Bald ist es vorbei, dachte er bei sich. Bald.
Doch das Gefühl drohenden Unheils wollte einfach nicht weichen.
* * *
Graf Eskarlion trat vor seine versammelten Truppen, das Westtor des inneren Walls im Rücken. Jonas stand an seiner Seite, das Schwert kampfbereit in der geballten Faust. Faris Lenard leistete Jonas trotz seiner Verwundung Gesellschaft. Der alte Varis-General war dieses Mal mit einer Streitaxt bewaffnet, einer Waffe, für die man keine große Finesse benötigte und die daher angesichts seiner Verletzung besser geeignet war.
Der Graf war vor allem für die Gegenwart seines Sohnes dankbar. Und für das Schicksal, das die beiden nach so vielen Jahren wieder zusammengeführt hatte. Er widmete Jonas einen aufmunternden Blick, bevor er seine Aufmerksamkeit dem letzten Aufgebot des Königreichs Varis zuwandte. Es waren weniger, als er gehofft hatte. Etwas mehr als zweitausendsiebenhundert Mann waren angetreten, um die Ehre des Königreichs zu verteidigen. Der Graf blickte in die Mienen der Soldaten und Bürger. Sie alle wussten, was auf dem Spiel stand. Und sie alle waren bereit, ihre Leben in die Waagschale zu werfen.
»Männer!«, sagte er mit seiner ruhigen, volltönenden Stimme. »Das Königreich besitzt eine stolze Tradition, nämlich niemals im Kampf zu kapitulieren. Am heutigen Tag wird diese Tradition auf eine harte Probe gestellt.« Er machte eine dramatische Pause. »Denn wir sehen uns unserer Vernichtung gegenüber.« Die Soldaten warfen sich unsichere Blicke zu. »Doch auch, wenn der Gegner zahlenmäßig überlegen ist und uns mit seiner schieren Übermacht zu überwältigen droht, ziehen wir hoch erhobenen Hauptes in die Schlacht.
Denn wir sind Soldaten der Varis.
Wir ziehen in eine Schlacht, die wir nicht gewinnen können.
Doch wir sind Soldaten der Varis.
Der Feind will uns vernichten.
Doch wir sind Soldaten der Varis.
Wir ergeben uns nicht. Und wir fliehen nicht. Und falls es unser Schicksal ist, heute unterzugehen, so werden wir vorher noch einen angemessenen Teil der Moyri in die Hölle schicken, damit sie dort auf uns warten.« Seine letzten Worte schrie er nun heraus und spontaner Jubel brandete unter den Soldaten auf. Einer der Soldaten begann damit, ein einzelnes Wort zu skandieren. Das Wort wurde von anderen aufgenommen. Wie eine Welle breitete sich das Wort aus, bis die ganze Armee von Erys es brüllte.
»Varis!«
»Varis!«
»VARIS!«
Graf Eskarlion drehte sich schwungvoll um. »Öffnet die Tore! Entrollt die Schlachtbanner.«
Die schweren Torflügel wurden quietschend nach beiden Seiten aufgeschoben, während die tapfersten Varis-Soldaten, die man speziell zu diesem Zweck ausgewählt hatte, die prächtigen Banner des Königreichs Varis und der Stadt Erys entrollten und hoch in die Luft hielten.
Graf Eskarlion hob sein Schwert. »Und lasst die Banner niemals sinken!«
Er holte tief Luft und lächelte Jonas ein letztes Mal an.
»Vorwärts!«
22
»Es hat begonnen.« Lyras Stimme klang so angespannt, wie Kilian sich fühlte. Der Schlachtenlärm hallte durch die Luft und war sogar noch an ihrem Standort klar und deutlich zu vernehmen. »Wir warten noch zwanzig Minuten, bis die Schlacht in vollem Gange ist. Bis dahin müssten die Moyri in so arger Bedrängnis sein, dass sie an anderer Stelle Truppen abziehen müssen, um den Angriff des Grafen einzudämmen.«
»Falls der Angriff nach Plan verläuft«, meinte Kilian zynisch.
»Sehr ermutigend«, kommentierte Logan. »Das ist genau der falsche Zeitpunkt für diese Art Bemerkungen.«
* * *
Coyle Pollok konnte es nicht fassen. Von seinem Standort hatte er keine direkte Sicht auf die Geschehnisse, doch der Lärm und die Berichte seiner Offiziere ließen keinen Zweifel daran, dass gerade etwas ganz gehörig schieflief.
Die belagerten Varis starteten doch tatsächlich einen Gegenangriff! Waren die denn total verrückt? Sie hatten nicht die geringste Chance. Und doch kämpften sie mit der Wut der Verzweiflung.
Pollok rief sich die erste Regel der Kriegsführung in Erinnerung: Eine Schlacht war erst vorbei, wenn sie vorbei war.
Seine Arroganz hatte ihn glauben lassen, die Belagerung sei
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