Söldnerehre (German Edition)
schon so gut wie beendet und der Krieg gewonnen. Ein Gedanke, der ihn gleich zur zweiten Regel der Kriegsführung brachte: Ein in die Ecke gedrängter Gegner war der gefährlichste Gegner.
Coyle Pollok knirschte vor Wut mit den Zähnen.
* * *
Die Varis-Truppen erwischten die Moyri auf dem falschen Fuß. Die Belagerer waren gerade dabei, sich zur Schlacht aufzustellen, als sich quietschend das Tor öffnete und die Belagerten mit wildem Gebrüll hervorstürmten.
Einzelne Offiziere und Einheiten der Moyri reagierten relativ schnell auf den unerwarteten Vorstoß, doch die Moyri-Armee als Ganzes reagierte schlampig und schwerfällig. Eine Armee, wie die Moyri sie aufboten, benötigte Platz und Zeit, um zu manövrieren, und die Varis ließen ihnen beides nicht.
Der eigene Schwung trieb die Varis-Soldaten in Minutenschnelle in die Moyri-Formation und brach sie auf. Die Varis formierten sich sogleich zum Keil, der die Kämpfer noch tiefer in die Reihen der Gegner trieb. Die Moyri waren geübte Kämpfer. Sie verstanden sich jedoch vor allem darauf, als massierte Streitmacht ein Ziel anzugreifen und es niederzuwalzen. Doch diese disziplinierte Art des Kampfes überstieg ihre eigenen Fähigkeiten bei Weitem.
Zuerst reagierten sie überrascht. Aus Überraschung wurde Schock. Aus Schock wurde blanke Panik.
* * *
Coyle Pollok registrierte wütend, wie Teile seiner Streitmacht aus dem Tor des äußeren Walls und durch die Breschen getrieben wurden. Sie waren immer noch deutlich in der Überzahl, doch sie ließen sich zurückdrängen. Und das auch noch mit alarmierender Geschwindigkeit. Die bloße Wildheit und Verwegenheit des Gegenangriffs brachte ihre Linien ins Wanken.
Insgeheim musste er der dahinterstehenden Taktik Respekt zollen. Er hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Allerdings tat ein Gegner nur äußerst selten, was von ihm erwartet wurde.
Coyle Pollok knirschte erneut wütend mit den Zähnen. Dabei brach ein kleines Stück eines Schneidezahns ab und er spuckte es auf den Boden. Bei seinem nächsten Befehl schmeckte sein Mund förmlich nach Asche.
»Schickt die Reserven rein. Wir müssen unsere Linien stabilisieren.«
* * *
»Da geschieht etwas.«
Lyra spähte angestrengt über die Zinnen. Kilian stellte sich gebückt neben sie, um im Notfall ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Doch diese Vorsichtsmaßnahme stellte sich als unnötig heraus. Die Moyri zogen ab: nahezu alle und in Richtung des Kampflärms. Coyle Pollok zog seine Kräfte zusammen, um dem Angriff Graf Eskarlions entgegenzutreten.
Perfekt.
Es gab nur noch einige wenige Wachposten des Feindes auf der äußeren Ostmauer. Die würden kein Problem darstellen. Das einzige Hindernis würde sein, sie auszuschalten, bevor sie Alarm schlugen. Komplikationen waren bei dieser Aktion nicht erwünscht.
Kilian gab Kurta durch Gesten und Handzeichen zu verstehen, er solle in Position gehen. Der Moyri-Bogenschütze kniete hinter den Zinnen. Zusammen mit etwa zwanzig Varis-Soldaten. Die Männer waren nicht nur aufgrund ihrer Schwertkampffähigkeiten ausgewählt worden. Sie alle waren geübte Bogenschützen.
Die Männer wählten ihre Ziele mit Bedacht, zogen Pfeile aus den Köchern und legten an. Alle hielten den Atem an. Dann, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, ließen die Bogenschützen gleichzeitig ihre Sehnen los. Auf der Brüstung des äußeren Ostwalls sanken die Moyri-Wachposten lautlos in sich zusammen.
So weit, so gut.
Seile wurden die Mauer herabgelassen und sie ließen sich so leise wie möglich herab, Kilian als Erster, gefolgt von Lyra, Kurta und Logan. Ebenso wie in die Westmauer hatten die Moyri auch in die Ostmauer tiefe Breschen geschlagen, um ihren Truppen leichter Zugang zum Bereich dahinter zu verschaffen. Diese Maßnahme erwies sich jetzt als Bumerang, denn es ermöglichte den Kriegern, sich ohne großen Zeitaufwand zum Fluss durchzuschlagen.
Kilian war der Erste, der an einer der Breschen ankam. Mit erhobener Hand bedeutete er den anderen, sich ruhig zu verhalten. Die Krieger verharrten regungslos, während Kilian über die lose Ansammlung von Steinen spähte.
Das Ufer war voller Moyri-Boote. Das lief ja besser als erwartet. Das einzige Hindernis stellten vier feindliche Wachposten dar, die sich gedämpft unterhielten. Der Söldner erwog einen Moment, die Bogenschützen zu bemühen, um diese Bedrohung auszuschalten, entschied sich jedoch anders. Er sah Logan mit erhobener Augenbraue fragend an. Dieser
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