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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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und tagesaktuellen Dinge nur am Rande wahrzunehmen. Sie versuchen, das aufzuzeigen, was »ewig wahr«, »ewig schön« und »ewig gut« ist.
    Damit ahnen wir zumindest den Umfang von Platons philosophischem Projekt. Und von nun an nehmen wir eins nach dem anderen. Wir werden versuchen, einen seltsamen Gedankengang zu verstehen, der in aller späteren europäischen Philosophie tiefe Spuren hinterlassen hat.
Die Welt der Ideen
    Empedokles und Demokrit hatten ja schon darauf hingewiesen, dass alle Phänomene in der Natur »fließen«, aber dass es trotzdem »etwas« gibt, das sich niemals verändert (die »vier Wurzeln« oder die »Atome«). Platon befasst sich ebenfalls mit dieser Problematik – aber auf ganz andere Weise.
    Platon meinte, dass alles , was wir in der Natur greifen und fühlen können, »fließt«. Es gibt also keine Grundstoffe, die nicht in Auflösung übergehen. Absolut alles, was der »Sinnenwelt« angehört, besteht aus einem Material , an dem die Zeit zehrt. Aber gleichzeitig ist alles nach einer zeitlosen Form gebildet, die ewig und unveränderlich ist.
    Begriffen? Na gut, dann eben nicht ...
    Warum sind alle Pferde gleich, Sofie? Vielleicht denkst du, dass sie das doch gar nicht sind. Aber es gibt etwas, das allen Pferden gemeinsam ist, etwas, das dafür sorgt, dass wir niemals Probleme haben werden, ein Pferd zu erkennen. Das einzelne Pferd »fließt« natürlich. Es kann alt und lahm sein, mit der Zeit wird es dann auch krank und stirbt. Aber die eigentliche »Pferdeform« ist ewig und unveränderlich.
    Für Platon ist dieses Ewige und Unveränderliche also kein physischer »Urstoff«. Das Ewige und Unveränderliche sind geistige oder abstrakte Musterbilder, nach denen alle Phänomene gebildet sind.
    Ich präzisiere: Die Vorsokratiker hatten eine recht brauchbare Erklärung für die Veränderungen in der Natur gegeben, ohne voraussetzen zu müssen, dass sich wirklich etwas »verändert«. Mitten im Kreislauf der Natur gibt es ewige und beständige kleinste Teilchen, die nicht in Auflösung übergehen, meinten sie. Na gut, Sofie! Ich sagte: Na gut! Aber sie hatten keine akzeptable Erklärung dafür, wie diese kleinsten Teilchen, die einst Bausteine in einem Pferd waren, vier oder fünf Jahrhunderte später in Windeseile ein vollständig neues Pferd ergeben sollen! Oder vielleicht auch einen Elefanten, oder ein Krokodil. Platon will sagen, dass Demokrits Atome niemals ein »Krokofant« oder ein »Eledil« werden können. Und gerade das hat seine philosophischen Überlegungen in Gang gesetzt.
    Wenn du jetzt schon verstehst, was ich meine, kannst du diesen Abschnitt überspringen. Sicherheitshalber präzisiere ich: du hast eine Schachtel Legosteine und baust ein Legopferd. Dann nimmst du es wieder auseinander und legst die Steine zurück in die Schachtel. Du kannst nicht erwarten, dass du ein neues Pferd bekommst, wenn du einfach nur die Schachtel schüttelst. Wie sollten schließlich die Legosteine ganz allein ein neues Pferd zu Stande bringen? Nein, du musst das Pferd wieder zusammensetzen, Sofie. Und wenn du das schaffst, dann liegt das daran, dass du in dir ein Bild davon hast, wie das Pferd aussieht. Das Legopferd ist also nach einem Musterbild geformt worden, das unverändert von Pferd zu Pferd besteht.
    Hast du das mit den fünfzig gleichen Kuchen rausgekriegt? Wir stellen uns jetzt vor, du fällst aus dem Weltraum auf die Erde und hast noch nie eine Bäckerei gesehen. Also stolperst du in eine verlockende Bäckerei – und da siehst du fünfzig genau gleiche Pfefferkuchenmänner auf einem Tablett. Ich nehme an, du würdest dich am Kopf kratzen und dich fragen, wieso die alle ganz gleich sein können. Dabei ist es gut vorstellbar, dass einem ein Arm fehlt, ein anderer hat vielleicht ein Stück vom Kopf verloren und der dritte hat einen zu dicken Bauch. Aber nach gründlichem Nachdenken kommst du doch zu dem Schluss, dass alle Pfefferkuchenmänner einen gemeinsamen Nenner haben. Obwohl keiner von ihnen ganz vollkommen ist, ahnst du, dass sie einen gemeinsamen Ursprung haben müssen. Du begreifst, dass alle Pfefferkuchen nach ein und derselben Form gebacken sind.
    Und mehr noch, Sofie, mehr: Jetzt wird dich der Wunsch überkommen, diese Form zu sehen . Denn es ist klar, dass die Form unbeschreiblich vollkommener – und in gewisser Weise schöner – sein muss als eine ihrer gebrechlichen Kopien.
    Wenn du diese Aufgabe ganz allein gelöst hast, dann hast du ein philosophisches Problem auf

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