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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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nämlich Kopf, Brust und Unterleib . Jedem dieser Teile entspricht eine Charaktereigenschaft. Zum Kopf gehört die Vernunft , zur Brust der Wille und zum Unterleib die Lust oder das Begehren . Zu jeder dieser Charaktereigenschaften gehört außerdem ein Ideal oder eine Tugend . Die Vernunft soll nach Weisheit streben, der Wille soll Mut zeigen und das Begehren muss gezügelt werden, damit der Mensch Mäßigkeit zeigt. Erst, wenn die drei Teile des Menschen als Einheit fungieren, erhalten wir einen harmonischen oder rechtschaffenen Menschen. In der Schule müssen die Kinder erst lernen, ihr Begehren zu zügeln, dann wird der Mut entwickelt und zum Schluss sollen sie Vernunft und Weisheit erlangen.
    Platon stellt sich nun einen Staat vor, der genau wie ein Mensch aufgebaut ist. Wie der Körper »Kopf«, »Brust« und »Unterleib« hat, hat der Staat Herrscher, Wächter (oder Soldaten) und den Handelsstand (zu dem, außer den eigentlichen Händlern, auch die Handwerker und Bauern zählen). Hier wird deutlich, dass Platon sich die griechische medizinische Wissenschaft zum Vorbild nimmt. Wie ein gesunder und harmonischer Mensch Gleichgewicht und Mäßigung zeigt, kennzeichnet es einen gerechten Staat , dass jeder darin seinen Platz im Ganzen kennt.
    Wie Platons Philosophie insgesamt ist auch seine Staatsphilosophie vom Rationalismus geprägt. Entscheidend für die Schaffung eines guten Staates ist, dass er mit Vernunft geleitet wird. So wie der Kopf den Körper lenkt, müssen die Philosophen die Gesellschaft lenken.
    Wir versuchen nun eine einfache Darstellung des Verhältnisses zwischen den drei Teilen des Menschen und des Staates:
     
Körper
Seele
Tugend
Staat
Kopf
Vernunft
Weisheit
Herrscher
Brust
Wille
Mut
Wächter
Unterleib
Begehren
Mäßigung
Handelsstand
    Platons Idealstaat kann an das alte indische Kastenwesen erinnern, wo jeder Einzelne seine spezielle Funktion zum Besten des Ganzen hatte. Seit Platons Zeit – und noch früher – kennt das indische Kastenwesen genau diese Dreiteilung zwischen der leitenden Kaste (oder Priesterkaste), der Kriegerkaste und der Handel treibenden Kaste.
    Heute würden wir Platons Staat vielleicht als totalitären Staat bezeichnen, und es gibt Philosophen, die Platon deshalb hart kritisieren. Aber wir müssen immer bedenken, dass er in einer ganz anderen Zeit gelebt hat. Und wir können festhalten, dass er der Meinung war, Frauen könnten im Staat ebenso gut herrschen wie Männer. Und zwar, weil Herrscher eben aufgrund ihrer Vernunft den Stadtstaat lenken sollen. Platon glaubte, Frauen könnten genau dieselbe Vernunft haben wie Männer, wenn sie nur dieselbe Ausbildung erhielten und ansonsten vom Kinderhüten und der Hausarbeit befreit würden. Und Platon wollte bei den Herrschern des Staates und seinen Wächtern Familie und Privateigentum abschaffen. Die Kindererziehung war auf jeden Fall zu wichtig, um den Einzelnen überlassen zu werden. Die Kindererziehung musste in die Verantwortung des Staates fallen. (Platon war der erste Philosoph, der sich für öffentliche Kindergärten und Ganztagsschulen aussprach.)
    Nachdem Platon einige große politische Enttäuschungen erlebt hatte, schrieb er den Dialog »Die Gesetze«. Hier schildert er den »Gesetzesstaat« als den zweitbesten Staat und führt Privateigentum und Familienbande wieder ein. Auf diese Weise wird die Freiheit der Frauen eingeschränkt. Aber er sagt auch, dass ein Staat, der Frauen nicht erzieht und ausbildet, wie ein Mensch ist, der nur seinen rechten Arm trainiert.
    Im Grunde können wir sagen, dass Platon ein positives Frauenbild hatte – jedenfalls für seine Zeit. Im Dialog »Das Gastmahl« ist es eine Frau, Diotima, die Sokrates zu seiner philosophischen Einsicht verhilft.
    Das war also Platon, Sofie. Seit über zweitausend Jahren diskutieren – und kritisieren – die Menschen nun schon seine seltsame Ideenlehre. Der erste war sein eigener Schüler an der Akademie. Er hieß Aristoteles – der dritte große Philosoph aus Athen. Mehr verrate ich für heute nicht!
    Während Sofie auf einem Baumstumpf gesessen und gelesen hatte, war die Sonne hoch über die bewaldeten Hügel im Osten gestiegen. Die Sonnenscheibe hatte über den Horizont geschaut, als Sofie gerade über Sokrates las, der aus der Höhle kletterte und im scharfen Licht draußen die Augen zusammenkniff.
    Sie hatte selber fast das Gefühl, aus einer unterirdischen Grotte zu kommen. Sofie glaubte jedenfalls, die Natur auf ganz neue Weise zu sehen,

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