Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
das die Menschen schon fast so lange diskutieren, wie wir auf diesem Planeten leben. Wie Weltraum, Erdball und das Leben hier entstanden sind, ist eine größere und wichtigere Frage als die, wer bei den letzten Olympischen Spielen die meisten Goldmedaillen gewonnen hat.
Die beste Herangehensweise an die Philosophie ist es, philosophische Fragen zu stellen:
Wie wurde die Welt erschaffen? Liegt hinter dem, was geschieht, ein Wille oder ein Sinn? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Wie sollen wir überhaupt die Antwort auf solche Fragen finden? Und vor allem: Wie sollten wir leben?
Solche Fragen haben die Menschen zu allen Zeiten gestellt. Wir kennen keine Kultur, die sich nicht gefragt hat, wer die Menschen sind oder woher die Welt stammt.
Im Grunde können wir gar nicht so viele verschiedene philosophische Fragen stellen. Wir haben bereits einige der wichtigsten gestellt. Aber die Geschichte zeigt uns viele unterschiedliche Antworten auf jede einzelne Frage, die wir gestellt haben.
Es ist also leichter, philosophische Fragen zu stellen, als sie zu beantworten.
Auch heute muss jeder einzelne seine Antworten auf diese Fragen finden. Wir können nicht im Lexikon nachschlagen, ob es einen Gott oder ein Leben nach dem Tod gibt. Das Lexikon sagt uns auch nicht, wie wir leben sollen. Lesen, was andere Menschen gedacht haben, kann aber trotzdem eine Hilfe sein, wenn wir uns unser eigenes Bild vom Leben und der Welt machen müssen.
Die Jagd der Philosophen nach der Wahrheit lässt sich vielleicht mit einer Kriminalgeschichte vergleichen. Manche halten Andersen für den Mörder, andere Nielsen oder Jepsen. Einen wirklichen Kriminalfall kann die Polizei vielleicht plötzlich eines Tages klären. Es ist natürlich auch denkbar, dass sie das Rätsel nie lösen kann. Trotzdem hat das Rätsel eine Lösung.
Auch wenn es schwer ist, eine Frage zu beantworten, ist es also vorstellbar, dass die Frage eine – und nur eine – richtige Antwort hat. Entweder gibt es eine Art Dasein nach dem Tod – oder nicht.
Viele alte Rätsel sind inzwischen von der Wissenschaft gelöst worden. Einst war es ein großes Rätsel, wie wohl die Rückseite des Mondes aussieht. Man konnte die Lösung nicht durch Diskussion ermitteln, hier war die Antwort der Phantasie jedes Einzelnen überlassen. Aber heute wissen wir genau, wie die Rückseite des Mondes aussieht. Wir können nicht länger »glauben«, dass im Mond ein Mann wohnt oder dass der Mond aus Käse besteht.
Einer der alten griechischen Philosophen, die vor über zweitausend Jahren gelebt haben, glaubte, dass die Philosophie durch die Verwunderung der Menschen entstanden sei. Der Mensch findet es so seltsam zu leben, dass die philosophischen Fragen ganz von selber entstehen, meinte er.
Das ist so, als wenn wir bei einem Zaubertrick zusehen: Wir können nicht begreifen, wie das, was wir sehen, möglich ist. Und dann fragen wir danach: Wie konnte der Zauberkünstler zwei weiße Seidenschals in ein lebendiges Kaninchen verwandeln?
Vielen Menschen kommt die Welt genauso unfassbar vor wie das Kaninchen, das ein Zauberkünstler plötzlich aus einem eben noch leeren Zylinderhut zieht.
Was das Kaninchen betrifft, so ist uns klar, dass der Zauberkünstler uns an der Nase herumgeführt hat. Wenn wir über die Welt reden, liegen die Dinge etwas anders. Wir wissen, dass die Welt nicht Lug und Trug ist, denn wir laufen auf der Erde herum und sind ein Teil der Welt. Im Grunde sind wir das weiße Kaninchen, das aus dem Zylinder gezogen wird. Der Unterschied zwischen uns und dem weißen Kaninchen ist nur, dass das Kaninchen nicht weiß, dass es an einem Zaubertrick mitwirkt. Mit uns ist das anders. Wir glauben, an etwas Rätselhaftem beteiligt zu sein, und würden gerne klarstellen, wie alles zusammenhängt.
PS. Was das weiße Kaninchen betrifft, so ist es vielleicht besser, es mit dem gesamten Universum zu vergleichen. Wir, die wir hier wohnen, sind das wimmelnde Gewürm tief unten im Kaninchenfell. Aber die Philosophen versuchen, an den dünnen Haaren nach oben zu klettern, um dem großen Zauberkünstler voll in die Augen blicken zu können.
Bist du noch da, Sofie? Fortsetzung folgt.
Sofie war ganz schwach. Ob sie noch da war? Sie wusste nicht einmal, ob sie beim Lesen überhaupt Atem geholt hatte.
Wer hatte den Brief gebracht? Wer, wer?
Es konnte unmöglich derselbe sein, der Hilde Møller Knag die Geburtstagskarte geschickt hatte, denn die hatte Briefmarke und Stempel gehabt. Der gelbe
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