Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
zu büffeln.
Als es nach der letzten Stunde schellte, lief sie so schnell vom Schulhof, dass Jorunn rennen musste, um sie einzuholen.
Nach einer Weile fragte Jorunn:
»Wollen wir heute Abend Karten spielen?«
Sofie zuckte mit den Schultern.
»Ich glaube, ich interessiere mich nicht mehr so sehr für Kartenspiele.«
Jorunn sah aus wie aus allen Wolken gefallen.
»Nicht? Sollen wir dann lieber Federball spielen?«
Sofie starrte den Asphalt an – und dann ihre Freundin.
»Ich glaube, Federball interessiert mich auch nicht mehr so sehr.«
»Na gut!«
Sofie hörte in Jorunns Stimme einen Hauch von Bitterkeit.
»Du kannst mir aber vielleicht erzählen, was plötzlich soviel wichtiger geworden ist?«
Sofie schüttelte den Kopf.
»Das ... ist ein Geheimnis.«
»Pöh! Du bist bestimmt verliebt.«
Die beiden gingen lange zusammen weiter, ohne etwas zu sagen. Als sie den Fußballplatz erreicht hatten, sagte Jorunn:
»Ich gehe über den Platz.«
»Über den Platz.« Das war der schnellste Weg zu Jorunn, aber sie ging ihn nur, wenn sie dringend nach Hause musste, weil Besuch kam oder weil sie einen Zahnarzttermin hatte.
Sofie merkte, dass es ihr Leid tat, Jorunn verletzt zu haben. Aber was hätte sie antworten sollen? Dass es sie plötzlich so sehr beschäftigte, wer sie war und woher die Welt stammte, dass sie keine Zeit zum Federballspielen hatte? Ob ihre Freundin das verstanden hätte?
Warum war es bloß so schwer, sich mit der allerwichtigsten und irgendwie auch allernatürlichsten Frage zu befassen?
Sie spürte ihr Herz schneller schlagen, als sie den Briefkasten öffnete. Auf den ersten Blick sah sie nur Kontoauszüge und einige große gelbe Briefumschläge für ihre Mutter. Doof, Sofie hatte so sehr auf einen neuen Brief des unbekannten Absenders gehofft.
Als sie hinter sich das Tor schloss, entdeckte sie auf einem der großen Umschläge ihren eigenen Namen. Auf der Rückseite, wo der Umschlag zugeklebt war, stand: Philosophiekurs. Muss mit großer Vorsicht behandelt werden.
Sofie lief über den Kiesweg und stellte ihre Schultasche auf die Treppe. Sie schob die übrigen Briefe unter die Fußmatte, rannte in den Garten hinter das Haus und suchte Zuflucht in der Höhle. Der große Brief musste dort geöffnet werden.
Sherekan kam ihr nachgerannt, aber dagegen konnte sie nichts machen. Sofie war sich aber sicher, dass die Katze nichts ausplaudern würde.
Im Umschlag steckten drei große, mit Maschine beschriebene Bögen, die mit einer Büroklammer zusammengeheftet waren. Sofie fing an zu lesen.
Was ist Philosophie?
Liebe Sofie! Viele Menschen haben unterschiedliche Hobbys. Manche sammeln alte Münzen oder Briefmarken, andere handarbeiten gern, noch andere widmen fast all ihre Freizeit einer bestimmten Sportart.
Viele lesen auch gern. Aber was wir lesen, ist sehr unterschiedlich. Einige lesen nur Zeitungen oder Comics, andere mögen Romane, noch andere ziehen Bücher über verschiedene Themen wie Astronomie, Tierleben oder technische Erfindungen vor.
Wenn ich mich für Pferde oder Edelsteine interessiere, kann ich nicht verlangen, dass alle anderen diese Interessen teilen. Wenn ich wie gebannt vor allen Sportsendungen im Fernsehen sitze, muss ich mich damit abfinden können, dass andere Sport öde finden.
Gibt es trotzdem etwas, das alle interessieren sollte? Gibt es etwas, das alle Menschen angeht – egal, wer sie sind oder wo auf der Welt sie wohnen? Ja, liebe Sofie, es gibt Fragen, die alle Menschen beschäftigen sollten. Und um solche Fragen geht es in diesem Kurs.
Was ist das Wichtigste im Leben? Wenn wir jemanden in einem Land mit Hungersnot fragen, dann lautet die Antwort: Essen. Wenn wir dieselbe Frage an einen Frierenden stellen, dann ist die Antwort: Wärme. Und wenn wir einen Menschen fragen, der sich einsam und allein fühlt, dann lautet die Antwort sicher: Gemeinschaft mit anderen Menschen.
Aber wenn alle diese Bedürfnisse befriedigt sind – gibt es dann immer noch etwas, das alle Menschen brauchen? Die Philosophen meinen ja. Sie meinen, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Alle Menschen müssen natürlich essen. Alle brauchen auch Liebe und Fürsorge. Aber es gibt noch etwas, das alle Menschen brauchen. Wir haben das Bedürfnis, herauszufinden, wer wir sind und warum wir leben.
Sich dafür zu interessieren, warum wir leben, ist also kein ebenso »zufälliges« Interesse wie das am Briefmarkensammeln. Wer sich für solche Fragen interessiert, beschäftigt sich mit etwas,
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