Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
nicht ebenso unmöglich wie die, dass es die Welt immer schon gegeben hatte?
Im Religionsunterricht lernten sie, dass Gott die Welt erschaffen hatte, und Sofie versuchte jetzt, sich damit zufrieden zu geben, dass das trotz allem die beste Lösung für dieses Problem war. Aber dann fing sie wieder an zu denken. Sie konnte gern hinnehmen, dass Gott den Weltraum erschaffen hatte, aber was war mit Gott selber? Hatte er sich selbst aus null und nichts erschaffen? Wieder protestierte etwas in ihr. Obwohl Gott sicher alles Mögliche erschaffen konnte, konnte er sich ja wohl kaum selber schaffen, ehe er ein »Selbst« hatte, mit dem er erschaffen konnte. Und dann gab es nur noch eine Möglichkeit: Gott gab es schon immer. Aber diese Möglichkeit hatte sie doch schon verworfen. Alles, was existierte, musste einen Anfang haben.
»Verflixt!«
Wieder öffnete sie beide Briefumschläge.
»Wer bist du?«
»Woher kommt die Welt?«
Was für gemeine Fragen! Und woher kamen die beiden Briefe? Das war fast genauso geheimnisvoll.
Wer hatte Sofie aus dem Alltag gerissen und sie plötzlich mit den großen Rätseln des Universums konfrontiert?
Zum dritten Mal ging Sofie zum Briefkasten.
Erst jetzt hatte der Postbote die normale Post gebracht. Sofie fischte einen dicken Packen Werbung, Zeitungen und zwei Briefe an ihre Mutter heraus. Es gab auch eine Postkarte – mit dem Bild eines südlichen Strandes. Sie drehte die Karte um. Sie hatte norwegische Briefmarken und den Stempel »UN-Regiment«. Konnte die von ihrem Vater sein? Aber war der nicht ganz woanders? Und seine Handschrift war es auch nicht.
Sofie spürte ihren Puls etwas schneller schlagen, als sie die Adresse auf der Karte las. »Hilde Møller Knag, c/o Sofie Amundsen, Kløverveien 3...« Die übrige Adresse stimmte. Auf der Karte stand:
Liebe Hilde! Ich gratuliere dir herzlich zum 15. Geburtstag. Du verstehst sicher, dass ich dir ein Geschenk machen möchte, an dem du wachsen kannst. Verzeih, dass ich die Karte an Sofie schicke. So war es am leichtesten.
Liebe Grüße, Papa
Sofie lief zum Haus zurück und stürzte in die Küche. Sie spürte, dass ein Sturm in ihr tobte. Was war das nun wieder? Wer war diese Hilde, die einen guten Monat vor Sofies eigenem 15. Geburtstag fünfzehn wurde?
Sofie holte sich das Telefonbuch aus dem Flur. Viele darin hießen Møller, manche auch Knag. Aber im ganzen dicken Telefonbuch hieß kein Mensch Møller Knag.
Wieder musterte sie die geheimnisvolle Karte. Doch, echt war die schon, mit Briefmarke und Stempel.
Warum aber schickte ein Vater eine Geburtstagskarte an Sofies Adresse, wenn sie doch ganz offenbar anderswohin gehörte? Welcher Vater würde eine Postkarte auf Irrwege senden und damit seine Tochter um ihren Geburtstagsgruß betrügen? Wieso konnte es »so am leichtesten« sein? Und vor allem: Wie sollte sie Hilde ausfindig machen?
Auf diese Weise hatte Sofie noch ein Problem, über das sie sich den Kopf zerbrechen konnte. Sie versuchte wieder, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
Im Laufe weniger Nachmittagsstunden war sie mit drei Rätseln konfrontiert worden. Das erste Rätsel war die Frage, wer die beiden weißen Briefumschläge in ihren Briefkasten gelegt hatte. Das zweite waren die schwierigen Fragen, die diese Briefe stellten. Das dritte Rätsel war, wer Hilde Møller Knag war und warum Sofie eine Geburtstagskarte für dieses fremde Mädchen erhalten hatte.
Sie war sich sicher, dass diese drei Rätsel irgendwie zusammenhängen mussten, denn bisher hatte sie ein ganz normales Leben geführt.
Der Zylinderhut
... das Einzige, was wir brauchen, um gute Philosophen zu werden, ist die Fähigkeit, uns zu wundern ...
Sofie ging davon aus, dass der Schreiber der anonymen Briefe sich wieder melden würde. Sie beschloss, vorerst niemandem von diesen Briefen zu erzählen.
In der Schule fiel es ihr schwer, sich auf das zu konzentrieren, was der Lehrer sagte. Sofie fand plötzlich, er rede nur von unwichtigen Dingen. Warum sprach er nicht lieber darüber, was ein Mensch ist – oder was die Welt ist und wie sie entstehen konnte?
Sie hatte ein Gefühl, das sie noch nie gehabt hatte: In der Schule und auch sonst überall beschäftigten die Leute sich mit mehr oder minder zufälligen Dingen. Aber es gab doch große und schwierige Fragen, deren Beantwortung wichtiger war als die üblichen Schulfächer.
Hatte irgendwer Antworten auf solche Fragen? Sofie fand es jedenfalls wichtiger, darüber nachzudenken, als starke Verben
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