Sohn der Unendlichkeit
sagte Diomed. Er verstand in Wirklichkeit nichts. Aber da Sonar schwieg und ihn beruhigend anblickte, drehte er sich herum und ging die vielen Stufen des Tempels hinunter. Er sah mitten auf einer kreisrunden Fläche weißen Sandes das Mädchen stehen. Auf einmal kam sie ihm begehrenswert vor, und der Becher in ihrer Hand wirkte wie der Gralskelch. Die Bäume des Parks nahmen eine hellgrüne Färbung an, als er den Kiesweg erreichte und auf Cardinola zuging.
Sie lächelte und fragte:
»Ich habe auf dich gewartet. Wie fühlst du dich, Dorian?«
Er nahm den Becher aus ihrer Hand und trank ihn mit einem einzigen Schluck leer.
»Auf eigentümliche Weise schwach und neugestärkt zugleich«, erwiderte er.
Sie faßte ihn an der Hand und zog ihn mit sich.
Schweigend gingen sie durch nasses Gras, durch die Farbtupfen der Blüten auf einen winzigen Pavillon zu. Sie kannten das Ziel, und jeder Schritt brachte sie näher an den entscheidenden Augenblick heran. Mitten auf dem weißen Fell, mit dem der Pavillon ausgeschlagen war, preßten sich ihre Körper gegeneinander. Cardinola war sehr direkt und sehr schnell in ihrer Absicht, ihn zu verführen. Zuerst blieb er passiv, dann erfaßte ihn ein Taumel derselben Art, die er eben durchgestanden hatte. Während sie sich hungrig küßten, bahnte sich der erste flammende Sonnenstrahl einen Weg durch die schwellenden Morgenwolken.
»Warum?« fragte Dorian.
»Frage nicht«, sagte sie, als er den Stoff des Kleides über ihre Schultern herunterzog. »Für mich ist es einer der Augenblicke voller Trunkenheit, in denen man sterben könnte, ohne es zu merken.«
Wieder küßten sie sich.
Sie würden sich niemals wieder sehen oder treffen, und geschah dies dennoch, dann waren sie sich fremder als zwei Planeten. Aber jetzt, in einem Augenblick, der mehrere Stunden dauerte, gab es nichts anderes. Sie liebten sich mit einer Intensität, die weder das Mädchen noch Dorian jemals gekannt hatte. Alles war vergessen. Sie hörten weder die erwachenden Vögel ringsum, noch sahen sie die waagrechten Strahlen der Sonne, die aus den rechteckigen Flächen des Palastes strahlende Bilder machte. Sie versanken ineinander; weder ihre Lippen noch die Hände hatten ein anderes Ziel außer dem, Zärtlichkeiten zu vermitteln. Dorian liebte das Mädchen mit derselben Heftigkeit, mit der er Stürmen aus mahlendem Glas standgehalten hatte, und mit derselben Ausschließlichkeit. Keine Mikrosekunde lang verirrte sich einer seiner Gedanken in die Richtung der unvergleichlichen Amaouri, für die dieses Mädchen nur ein schwaches Surrogat war. Schwächer, und deshalb stärker. Weniger von einem kühl kontrollierenden Verstand geknechtet.
Dorian erwachte, als ihm die Sonne ins Gesicht schien. Er sah sich um und stand auf. Er sammelte seine Kleidungsstücke ein, zog sich an und ging dann auf Diomed III. zu, der auf einem Steinblock nahe der Grenze des Blickfeldes lag. Dorian fühlte sich, als habe man ihn neugeboren, im Alter von zweiunddreißig Jahren. Er legte Diomed die Hand auf die Schulter und sagte leise:
»Ich habe alles begriffen, mein Freund. Die Katharsis liegt hinter mir.«
Am Klang der Stimme und aus der Analyse der elf Worte konnte Diomed feststellen, daß Dorian Variatio erwachsen war.
Er stand auf und sah dem jungen Mann in die Augen.
»Irgendwo dort drüben steht das Raumschiff«, sagte er leise und bedeutungsvoll. »Nimm es in Besitz. Du kannst starten, wann du willst.«
»Und … Amaouri?«
Diomed antwortete hart:
»Nichts ist wichtiger als deine Mission, Dorian. Fliege zu den Planeten von Dädalos’ Schild.«
Er drehte sich um und ging fort.
3.
Nach einem langen, erholsamen Schlaf stand Diomed auf. Das Schiff befand sich, automatisch gesteuert, bereits wieder im All und raste dem zweiten Ziel entgegen, das, wie alle anderen, genau auf der Ebene der galaktischen Rotation lag, auf der die irdische Sonne einen Umlauf in 25 Millionen Jahren machte.
Dorian grinste, als er den Robot einschaltete, der eine feine Schicht silberner Schuppen aufsaugte. Sie stammte von Sefouchi; es war eine von vielen in seinen Gedanken. Die Eindrücke begannen bereits zu verblassen.
»Der Kurier der Erde«, knurrte er, las sorgfältig etwa zweihundert Instrumente und Anzeigen ab und verglich sie mit den Sollwerten in seiner Erinnerung. Das Raumschiff funktionierte mit einer erstaunlichen Zuverlässigkeit, die ihn ein wenig nachdenklich machte. Jemand, der seit frühester Jugend von erstklassig
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