Sohn der Verdammnis: Die Chronik der Erzengel. Roman (German Edition)
»Das ist die Art von Volksverdummung, die Das Omen in den Siebzigerjahren propagierte. Worüber soll er herrschen? Nordkorea? Mit einer tätowierten 666 auf dem Schädel?«
»Er wird eine kurze Zeit lang die Welt regieren«, erklärte St. Cartier, ohne auf Nicks Sarkasmus einzugehen, und schob den Dessertteller beiseite. Er öffnete seinen Aktenkoffer, den er zur Dachterrasse mitgenommen hatte, und zog einen winzigen, handtellergroßen Computer hervor, den er vor sich auf den Tisch legte. Er schaltete ihn ein.
»Du meinst so was wie die ›Neue Weltordnung‹?« Nick spielte mit seinem Löffel herum.
»Ah – jetzt dämmert dir etwas!«, rief St. Cartier aus.
»Der Ausdruck ›Neue Weltordnung‹ bezieht sich auf einen Glauben oder eine Verschwörungstheorie, dem- oder derzufolge eine mächtige geheime Gruppe einen geheimen Plan entwickelt hat, die Welt durch eine einzige Weltregierung zu beherrschen«, rasselte Nick herunter.
St. Cartier nickte und zog die Brauen hoch.
Mit einem Seufzer fuhr Nick fort: »Einige Gruppen sind religiös motiviert …« Er sah St. Cartier demonstrativ an. »Sie sind der Überzeugung, dass der Teufel selbst dahintersteckt oder zumindest seine Handlanger mit im Spiel sind. Andere sehen das Ganze völlig ohne religiöse Aspekte.«
St. Cartier nickte langsam. »Beeindruckend. Gordonstoun hat dich gut instruiert, Nicholas. Du hast zweifellos von den Illuminati gehört?«
Nick zuckte die Achseln. »Einer Reihe von populären Büchern des letzten Jahrzehnts zufolge waren sie eine Gruppe von großen Denkern zur Zeit der Renaissance, die aus Rom vertrieben und gnadenlos vom Vatikan verfolgt wurden.«
»Schwachsinn!« Der Professor schürzte verärgert die Lippen. »Eine reine Erfindung fantasievoller Romanautoren.«
Seine Finger flogen über die Mini-Tastatur.
»Der Orden der Illuminati wurde über zwei Jahrhunderte nach Michelangelos Tod am 1 . Mai 1776 ins Leben gerufen. Sein Gründer, zumindest nach außen hin, war ein gewisser Adam Weishaupt. Der Plan der Illuminati war es, unter dem Deckmantel der Freimaurer- und Rosenkreuzerbewegung eine geheime Bruderschaft aufzubauen. Ziel dieser geheimen Elite sollte sein, alle Regierungen zu infiltrieren, um am Ende eine Weltregierung zu errichten. Die Illuminati wurden schließlich verboten, aber im Untergrund existierten sie weiter. Sie beschlossen, dass der Name ›Illuminati‹ nie mehr in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten sollte. Stattdessen würden sie durch Strohmänner und legale Gruppierungen agieren, um ihr Ziel zu verwirklichen – die Weltherrschaft.« Er drehte den kleinen Bildschirm so, dass Nick ihn einsehen konnte. »Sieh dir das an.«
Bruder Antonius trat an den Tisch; in den Händen hielt er eine große silberne Schüssel mit Früchten. St. Cartier studierte sie wie ein Experte eine Auswahl erlesener Juwelen. Seine Hand schwebte über den frischen Feigen und roten Datteln. Schließlich nahm er sich eine orangefarbene Frucht von der Größe eines Apfels.
»Eine Dompalmfrucht«, meinte er und hielt sie Nick hin. »Die Lieblingsfrucht deiner Mutter.«
Nick schüttelte den Kopf.
»Orangensaft.«
Bruder Antonius winkte einem zweiten Mönch, der zum Tisch geeilt kam und Nick aus einer Kanne ein Glas frisch gepressten, mit Zuckerrohr gesüßten Orangensaft eingoss. Unterdessen nahm St. Cartier eine saubere weiße Stoffserviette und band sie sich um den Hals.
Nick sah den Professor finster an, dann wandte er sich widerstrebend dem Mini-Bildschirm zu.
»Bankiers, deren Linien sich bis zu den Zeiten der Tempelritter zurückverfolgen lassen, liehen über Jahrhunderte hinweg den europäischen Königen Geld und finanzierten auch die Illuminati«, erklärte der Professor. »Sie sind heute immer noch aktiv, außerhalb jedweder gesellschaftlicher, legaler und politischer Schranken. Sie kontrollieren die internationalen Finanzsysteme, aber auch Industrieunternehmen, das Militär, die Geheimdienste, die Medien, Pharmakonzerne, Drogenkartelle … Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Ihre Spione und Mittelsmänner sind auf allen Ebenen der Regierung und Industrie postiert. Der amerikanische und der britische Geheimdienst haben Beweise dafür, dass sie seit der amerikanischen Revolution jeden Krieg mitfinanziert und sich daran eine goldene Nase verdient haben.«
St. Cartier unterbrach seinen Vortrag und nahm einen großen Bissen von seiner Palmfrucht. Der Saft lief ihm das Kinn hinunter und tropfte auf die Serviette, wie Nick
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