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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Haar und meine nackten Knie im Spiegel über dem Waschbecken. Ich zog mit dem Fuß eines dieser halbgeschmolzenen Werkzeuge heran, die auf dem Fußboden herumlagen, und hob es mit der freien Hand auf. Das Ende war spitz. Ich setzte es an die Haut oberhalb der Stelle, wo eine halbrunde symmetrische rosa Narbe war, und stieß es ins Fleisch. Das tat empfindlich weh. Ich schaute auf das rieselnde Blut, das in großen Tropfen die Innenseite des Schenkels entlangrollte und leise auf den Fußboden tröpfelte.
    Das war zwecklos. Immer deutlicher wurden die gräßlichen Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, ich sagte mir nicht mehr: »Das ist ein Traum«, daran hatte ich längst zu glauben aufgehört, jetzt dachte ich: »Ich muß mich verteidigen.« Ich blickte auf Hareys Rücken, wie er unter dem weißen Stoff in die Biegung der Hüften überging. Die bloßen Füße baumelten über dem Fußboden. Ich griff nach ihnen, leicht umfaßte ich die rosige Ferse und ließ die Finger über die Fußsohle gleiten.
    Sie war zart wie bei einem Neugeborenen.
    Ich wußte eigentlich schon sicher, daß das nicht Harey war, und beinahe sicher, daß sie selbst das nicht wußte.
    Der bloße Fuß regte sich in meiner Hand, Hareys dunkle Lippen blähten sich in lautlosem Lachen.
    -    Hör auf… - flüsterte sie.
    Sanft löste ich die Hand und stand auf. Ich war noch immer nackt. Während ich mich eilig anzog, sah ich, wie sich Harey im Bett aufsetzte. Sie schaute mich an.
    -    Wo sind deine Sachen? - fragte ich und bedauerte es sogleich.
    -    Meine Sachen?
    -    Na, hast du nur dieses Kleid?
    Jetzt war das schon ein Spiel. Absichtlich versuchte ich mich lässig zu benehmen, ganz gewöhnlich, als hätten wir uns gestern getrennt, nein, als ob wir uns überhaupt niemals getrennt hätten. Sie stand auf und schlug mit der bekannten leichten, aber kräftigen Bewegung auf den Rock, um ihn zu glätten. Meine Worte beschäftigten sie, wenn sie auch nichts sagte. Sie erfaßte die Umgebung erstmals mit sachlichem, suchendem Blick und wandte sich merklich verwundert wieder zu mir.
    -    Ich weiß nicht… - sagte sie hilflos. - Wohl im Schrank . .? fügte sie hinzu und öffnete die Tür einen Spalt weit.
    -    Nein, dort sind nur Overalls - entgegnete ich. Ich fand neben dem Waschbecken einen Elektroapparat und begann mich zu rasieren. Dem Mädchen kehrte ich dabei lieber nicht den Rücken, wer immer sie sein mochte.
    Sie ging in der Kabine umher, guckte in alle Winkel, sah zum Fenster hinaus, näherte sich endlich mir und sagte:
    -    Kris, ich habe so ein Gefühl, als wäre etwas geschehen?
    Sie verstummte. Ich wartete, den ausgeschalteten Apparat in den Händen.
    -    Als hätte ich etwas vergessen … als hätte ich viel vergessen. Ich weiß… ich erinnere mich nur an dich… und… und an nichts sonst.
    Ich hörte das an und suchte das eigene Gesicht zu beherrschen.
    -    War ich… krank?
    -    Hm … man kann das so nennen. Ja, eine Zeitlang warst du ein wenig krank.
    -    Aha. Das kommt wohl daher.
    Schon war sie aufgeheitert. Ich kann nicht ausdrücken, was ich erlebte. Wenn sie schwieg, ging, sich setzte, lächelte, dann war die Gewißheit, ich hätte Harey vor mir, stärker als meine würgende Angst; dann wieder, wie eben in diesem Augenblick, schien es mir, das sei eine vereinfachte Harey, eingeengt auf ein paar charakteristische Äußerungen, Gesten, Bewegungen. Sie kam mir ganz nahe, stemmte die lockeren Fäuste auf meine Brust, dicht unter dem Hals, und fragte:
    -    Wie steht es zwischen uns? Gut oder schlecht?
    -    Bestens - entgegnete ich.
    Harey lächelte leicht.
    -    Wenn du so redest, steht es eher schlecht.
    -    Aber wieso denn, Harey, Liebling, ich muß jetzt gehen sagte ich rasch. - Du wartest auf mich, gut? Oder vielleicht… bist du hungrig? - setzte ich hinzu, denn selbst verspürte ich mit einemmal wachsenden Hunger.
    -    Hungrig? Nein.
    Sie schüttelte den Kopf, daß das Haar wogte.
    -    Ich soll auf dich warten? Lang?
    -    Eine Stunde - begann ich, aber sie unterbrach mich:
    -    Ich gehe mit dir.
    -    Du kannst nicht mitgehen, ich muß ja arbeiten.
    -    Ich gehe mit dir.
    Das war eine völlig andere Harey: die andere hatte sich nicht aufgedrängt. Niemals.
    -    Liebes Kind, das ist unmöglich…
    Sie sah zu mir auf, faßte mich plötzlich bei der Hand. Ich strich    mit    der    Handfläche
    Hareys Unterarm hinauf, ihr Arm war warm

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