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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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spannte. Plötzlich begriff ich: statt gegen die Tür zu stoßen, die zum Korridor hin zu öffnen war, versuchte sie sie aufzureißen, indem sie zu sich hin zog. Der Lichtreflex krümmte sich auf der weißen Tafel wie in einem Hohlspiegel, ein mächtiger Knacks wurde laut, und die einheitliche, bis zum Äußersten verbogene Platte zersprang. Zugleich flog die Klinke, aus der Einfassung gerissen, ins Zimmer hinein. In der Öffnung zeigten sich sofort blutige Hände, sie zogen weiter und hinterließen rote Spuren auf dem Lack - die Türplatte brach entzwei und hing schräg von den Angeln weg, und ein weiß und orange gestreiftes Gespenst mit bläulichem totem Gesicht warf sich mir an die Brust und ging über von Schluchzern.
    Wenn mich dieser Anblick nicht gelähmt hätte, dann hätte ich wohl zu flüchten versucht. Harey schnappte krampfhaft nach Luft, schlug mit dem Kopf gegen meine Schulter, daß das zerraufte Haar nur so flog; als ich die Arme um Harey schlug, spürte ich, daß sie zusammensank. Ich trug sie ins Zimmer, indem ich mich neben dem zerschmetterten Türflügel vorbeiquetschte, und legte sie aufs Bett. Ihre Fingernägel waren blutüberströmt und zerbrochen. Als sie die Hand umdrehte, sah ich, daß das Innere des Handtellers bis aufs nackte Fleisch abgeschürft war. Ich sah ihr ins Gesicht, die offenen Augen starrten durch mich hindurch, ohne Ausdruck.
    -    Harey!
    Sie antwortete mit einem unartikulierten Brummen.
    Ich hielt ihr einen Finger vors Auge. Das Lid schloß sich. Ich ging zum Arzneischränkchen. Das Bett knarrte. Ich wandte mich um. Sie saß aufrecht da und schaute entsetzt ihre blutenden Hände an.
    -    Kris - stöhnte sie - ich… ich… was ist mir passiert?
    -    Beim Eindreschen der Tür hast du dich aufgeschunden - sagte ich trocken. Ich hatte etwas in den Lippen, besonders in der unteren, als kribbelten Ameisen darin herum. Ich preßte die Zähne hinein.
    Harey schaute eine Weile auf die lose aus dem Rahmen baumelnden gezackten Kunststofftrümmer und richtete den Blick wieder auf mich. Das Kinn bebte ihr, ich sah die Anstrengung, womit sie ihre Angst zu bändigen suchte.
    Ich schnitt Mullstücke zurecht, nahm Wundpuder aus dem Schränkchen und kehrte zum Bett zurück. Alles, was ich trug, glitt mir jählings aus den sinkenden Händen, der Glastiegel mit dem Gelatinehäutchen zersprang, aber ich bückte mich nicht einmal. Er war nicht mehr nötig.
    Ich hob ihre Hand. Eingetrocknetes Blut umgab noch in dünnen Rändern die Fingernägel, aber die Quetschungen waren verschwunden, und den Handteller überzog hell von der Umgebung abstechend junge, rosige Haut. Diese Narbe verblaßte im übrigen fast zusehends.
    Ich setzte mich, streichelte Hareys Gesicht und versuchte ihr zuzulächeln; ich kann nicht behaupten, daß mir das gelungen wäre.
    -    Warum hast du das getan, Harey?
    -    Nein. Das… war ich?
    Sie deutete durch ein Augenzwinkern nach der Tür hin.
    -    Ja. Erinnerst du dich nicht?
    -    Nein. Das heißt, ich sah, daß du nicht da warst, ich erschrak sehr und…
    -    Und was?
    -    Ich begann dich zu suchen, ich dachte, vielleicht bist du im Bad…
    Erst jetzt bemerkte ich, daß der Schrank zur Seite gerückt war und den Eingang zum Badezimmer sehen ließ.
    -    Und dann?
    -    Dann lief ich zur Tür.
    -    Und?
    -    Ich kann mich nicht erinnern. Dann muß etwas passiert sein?
    -    Was?
    -    Weiß ich nicht.
    -    Und was weißt du? Was war dann?
    -    Ich saß hier, auf dem Bett.
    -    Und wie ich dich hergetragen habe, das weißt du nicht mehr?
    Sie zögerte. Die Mundwinkel zogen sich nach unten, das Gesicht war voll Anspannung.
    -    Mir scheint. Vielleicht. Das weiß ich selbst nicht. Sie senkte die Füße auf den Boden und stand auf. Sie trat zu der zerschmetterten Tür.
    -    Kris!
    Ich faßte sie von hinten bei den Schultern. Sie zitterte. Plötzlich wandte sie sich um, suchte meinem Blick.
    -    Kris - flüsterte sie - Kris.
    -    Beruhige dich.
    -    Kris, wenn ich, Kris, habe ich Epilepsie?
    Epilepsie, du lieber Gott! Ich hatte Lust, zu lachen.
    -    Woher denn, Liebling, bloß die Tür, weißt du, hier sind solche, also, halt solche Türen…
    Wir verließen das Zimmer, als der Außenpanzer mit langgezogenem Knirschen die
    Fenster bloßlegte und die im Ozean versinkende Sonnenscheibe sehen ließ.
    Ich strebte zu der kleinen Küche am entgegengesetzten Ende des Korridors. Ich und Harey

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