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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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wachen Verstand und seine Beobachtungsgabe beneiden könnte. Sende mir bitte postwendend folgende Angaben:
    1)    Einen Lebenslauf Fechners, mit Berücksichtigung seiner Kindheit.
    2)    Alles, was Du nur über seine Familie und seine Familienangelegenheiten weißt; er soll ein kleines Kind hinterlassen haben.
    3)    Die Topographie der Ortschaft, wo er aufgewachsen ist.
    Ich möchte Dir gern noch sagen, was ich von alldem halte. Wie Du weißt, entstand einige Zeit nach dem Aufbruch Fechners und Caruccis im Zentrum der roten Sonne ein Fleck, der durch seine Korpuskularstrahlung die Funkverbindung zerstörte, und zwar nach den Angaben des Satelloids vor allem auf der Südhalbkugel, d.h. dort, wo sich unsere Basis befand. Fechner und Carucci entfernten sich unter allen Forschungsgruppen am weitesten von der Basis.
    So dichten, beharrlich ruhenden Nebel bei völliger Windstille hatten wir bis zum Tag der Katastrophe während unseres ganzen Aufenthalts auf dem Planeten nicht beobachtet.
    Ich denke, das, was Berton gesehen hat, war ein Teil einer >Operation Mensch<, die von diesem klebrigen Monstrum vollzogen wurde. Die eigentliche Quelle aller von Berton wahrgenommenen Gebilde war Fechner - sein Gehirn, im Zuge einer für uns unbegreiflichen >psychischen Sezierung<; es ging um experimentelle Wiedergabe, um Rekonstruktion mancher Spuren in seinem Gedächtnis (wohl der dauerhaftesten).
    Ich weiß, das klingt phantastisch, ich weiß, ich kann mich irren. Ich bitte Dich also um Hilfe; ich befinde mich derzeit auf dem Alarich und werde dort Deine Antwort erwarten.
    Dein A.«
    Ich konnte kaum lesen, so finster war es geworden, das Buch in meinen Händen wurde grau, endlich begann mir der Druck vor den Augen zu verflimmern, aber das leere Stück der Seite zeigte an, daß ich ans Ende dieser Geschichte gelangt war, die ich im Licht der eigenen Erlebnisse für sehr wahrscheinlich ansah. Ich wandte mich zum Fenster um.

Darin stand tiefes Violett, über dem Horizont glommen noch ein paar Wölkchen, wie erlöschende Kohlen. Der Ozean, in Dunkel gehüllt, war unsichtbar. Ich hörte die Papierstreifen über den Ventilatoren schwach prasseln. Die erwärmte Luft mit schwachem Ozongeschmack stand leblos still. Vollkommene Stille erfüllte die ganze Station. Ich dachte, daß unser Entschluß - zu bleiben - nichts Heldenhaftes an sich hatte. Das Zeitalter heroischer Planetenbezwingungen, kühner Ausfahrten, entsetzlicher Todesfälle - wie etwa der des ersten Ozean-Opfers Fechner - war längst abgeschlossen. Es kümmerte mich schon fast nicht mehr, wer bei Snaut oder Sartorius »zu Gast« war. - Nach einiger Zeit -
    dachte ich - werden wir aufhören, uns zu schämen und abzusondern. Können wir die Gäste nicht loswerden, so werden wir uns an sie gewöhnen und mit ihnen leben, und wenn ihr Schöpfer die Spielregeln abändert, werden wir uns auch den neuen anpassen, wenn wir auch eine Zeitlang zappeln und strampeln werden, und vielleicht sogar einer oder der andere Selbstmord begeht, aber am Ende wird auch dieser künftige Zustand sich einpendeln. Die Finsternis, die das Zimmer erfüllte, wurde der irdischen immer ähnlicher. Schon hellten nur mehr die weißen Formen des Waschbeckens und des Spiegels das Dunkel auf. Ich stand auf, fand tastend den Watteballen auf dem Regal, wusch mir mit einem angefeuchteten Bausch das Gesicht und legte mich auf den Rücken aufs Bett. Irgendwo über mir, dem Schwirren eines Nachtfalters ähnlich, regte sich das Prasseln am Ventilator und verklang wieder. Ich sah nicht einmal das Fenster, Schwärze umfing alles, ein Streifchen Helligkeit aus unbekannter Quelle schwebte vor mir, ich weiß nicht, ob an der Wand oder weit draußen, tief in der Wüste jenseits des Fensters. Mir fiel ein, wie mich am Vorabend der leere Blick der solarischen Weite erschreckt hatte, und fast lächelte ich. Ich fürchtete ihn nicht. Nichts fürchtete ich. Ich hielt das Handgelenk vor die Augen. Als phosphornes Kränzchen leuchtete das Zifferblatt meiner Uhr. In einer Stunde sollte die blaue Sonne aufgehen. Ich genoß die herrschende Finsternis, ich atmete tief, ich war leer, befreit von allem Denken.
    Einmal, als ich mich bewegte, spürte ich die flache Form des Tonbandgeräts an der Hüfte aufliegen. Richtig. Gibarian. Auf Spulen festgehalten - seine Stimme. Nicht einmal eingefallen war mir, sie zu wecken, anzuhören. Das war alles, was ich für ihn tun konnte. Ich zog das Bandgerät hervor, um es unter dem Bett zu

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