Solaris
sein, wenn nicht gar eines Mordes. Nach etwa zwei, höchstens drei Stunden (dieses explosive Aufwuchern, diese Selbstvervielfachung und Selbstzeugung dauert nie länger) geht der lebende Ozean zum Angriff über. Das sieht so aus: die glatte Oberfläche runzelt sich, die schon zur Ruhe gekommene, mit verkrustetem
Schaum bedeckte Brandung beginnt zu sieden, von den Horizonten aus preschen konzentrische Wellenzüge heran, genau solche muskulöse Krater, wie sie die Geburt eines Mimoids begleiten, aber diesmal sind ihre Ausmaße unvergleichlich größer. Der unterseeische Teil der Symmetriade wird zusammengedrückt, langsam hebt sich der Koloß, als sollte er aus dem Bereich des Planeten fortgeschleudert werden; die obersten Schichten der Ozean-Masse beginnen aktiv zu werden, kriechen immer höher, die Seitenwände hinauf, überziehen sie, fester werdend, und verstopfen die Ausgänge, aber das alles ist nichts gegen das, was sich gleichzeitig tief innen abspielt. Zuerst stocken für kurze Zeit die formenschaffenden Prozesse - das Auseinanderhervortauchen aufeinanderfolgender Architekturkompositionen -, dann unterliegen sie heftiger Beschleunigung; die bis dahin flüssigen Bewegungen des Durchdringens und der Faltung, das Emporflügeln von Grundnetzen und Gewölben, bisher rhythmisch und so sicher, als sollten sie Jahrhunderte überdauern, - das alles beginnt sich zu überstürzen. Der Eindruck wird übermächtig, daß der Koloß angesichts der ihm drohenden Gefahr gewaltsam auf irgendein Vollbringen hindrängt. Doch je mehr die Geschwindigkeit der Verwandlungen steigt, desto offensichtlicher wird die gräßliche, ekelerregende Metamorphose des Baustoffes selbst und seiner Dynamik. Alle diese Bündelungen wunderbar geschmeidiger Ebenen erweichen sich, erschlaffen, schlottern, es beginnen Ausrutscher aufzutreten, unfertige Formen, fratzenhafte, verstümmelte; aus den unsichtbaren Tiefen dröhnt anwachsendes Brausen, Gebrüll: wie durch Atemzüge einer Agonie ausgestoßen, reibt sich die Luft an den zusammenschrumpfenden Engpässen, schnarcht und orgelt donnernd in den Durchlässen, erregt in den einstürzenden Zwischendecken ein Röcheln wie aus irgendwelchen monströsen, von Schleimstalaktiten überwucherten Kehlen, aus toten Stimmbändern, und augenblicklich wird es um den Zuschauer trotz aller heftigst entfesselten Bewegung - immerhin der Bewegung des Zerstörens - vollkommen tot. Nur mehr der Ozean, der aus dem Abgrund heult und ihn mit tausenden Schächten durchmißt, hält aufblähend das himmelhohe Bauwerk aufrecht; es beginnt hinunterzutreiben, zusammenzusinken wie eine von Flammen erfaßte Wabe, aber hier und dort wird noch letztes Flattern sichtbar, kraftlose, von allem übrigen abgetrennte Regungen, blind, immer schwächer, bis die unausgesetzt von außen attackierte, unterspülte Riesenmasse mit der Langsamkeit eines Berges einstürzt und im Strudel ebensolcher Schaumwellen verschwindet, wie sie ihre titanische Entstehung begleitet haben.
Und was bedeutet das alles? Ja, was bedeutet das?
Ich erinnere mich, als ich Gibarians Assistent war, besuchte einmal irgendein Schulausflug das Solarische Institut Aden, und sobald der seitliche Bibliotheksaal durchquert war, wurden die Jugendlichen in den Hauptraum geführt, dessen Großteil die Kassetten mit den Mikrofilmen ausfüllen. Auf ihnen sind kleine Teilstücke von Symmetriaden-Innenräumen festgehalten, und es gibt dort über neunzigtausend - nicht Aufnahmen, nein, ganze Spulen. Und ein pummeliges, bebrilltes, vielleicht fünfzehnjähriges Mädelchen mit energischem, verständigem Blick stellte damals plötzlich die Frage:
- Und wozu das Ganze…?
Und während des betretenen Schweigens, das daraufhin eintrat, blickte nur die Lehrerin streng zu ihrer aufsässigen Schülerin hin; von den geleitenden Solaristen (ich war unter ihnen) fand keiner eine Antwort. Denn die Symmetriaden sind unwiederholbar, und unwiederholbar sind im allgemeinen die Phänomene, die sich in ihnen abspielen. Manchmal hört die Luft in ihnen auf, Schall zu leiten. Manchmal wird der Brechungskoeffizient größer oder kleiner. Örtlich treten pulsierende, rhythmische Schwerkraftveränderungen auf, als hätte die Symmetriade ein schlagendes GravitationsHerz. Bisweilen beginnen sich die Kreiselkompasse der Forscher wie verrückt aufzuführen, Schichten gesteigerter Ionisation entstehen und verschwinden, diese
Aufzählung ließe sich fortsetzen. Im übrigen, sollte das Geheimnis der
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