Solaris
sich selbst und den achtzehn dort noch Verbliebenen in die Luft sprengen. Wenn auch offiziell nie zugegeben worden ist, daß dieses Selbstmord-Ultimatum das Abstimmungsergebnis beeinflußt habe, läßt sich doch annehmen, daß es so war.
Aber die Besuche so starker Expeditionsgruppen auf diesem Planeten gehören schon der Vergangenheit an. Die Station selbst (deren Bau von Satelliten aus beaufsichtigt wurde, eine großangelegte technische Leistung, worauf die Erde hätte stolz sein können, -nur daß eben der Ozean binnen Sekunden millionenmal größere Konstruktionen aus sich selbst herausholt) ist in Gestalt eines Diskus von zweihundert Meter Durchmesser aufgebaut, im Zentrum hat sie vier Stockwerke, am Außenrand zwei. Durch Gravitationsregler mit vernichtungsenergetischem Antrieb wird sie fünfhundert bis fünfzehnhundert Meter über dem Ozean schwebend erhalten; sie ist nicht nur mit allen Einrichtungen versehen, die auf den Stationen und Großsatelloiden anderer Planeten üblich sind, sondern überdies mit eigenen Radaranzeigegeräten, die bei der ersten Veränderung der Ozeanglätte zusätzliche Antriebskraft in Gang setzen können, so daß der stählerne Diskus in die Stratosphäre entschwebt, sobald sich erste Vorboten der Geburt einer neuen Lebendbildung zeigen.
Nun war die Station eigentlich verödet. Seit aus Gründen, die ich noch immer nicht kannte, die Automaten in die Tiefmagazine gesperrt worden waren, konnte man die Korridore im Kreis herum durchwandern, ohne jemandem zu begegnen, wie in einem blindlings dahintreibenden Wrack, dessen Maschinen das Aussterben der Besatzung überdauert haben.
Als ich den neunten Band von Gieses Monographie ins Fach zurückstellte, da schien mir der unter der molligen Schaumstoffschicht verborgene Stahl unter den Füßen zu erzittern. Ich hielt reglos inne, aber das Beben wiederholte sich nicht mehr.
Die Bibliothek war vom Rest des Bauwerks bestens isoliert, Schwingungen konnten nur eine Ursache haben. Eine Rakete war aus der Station gestartet. Dieser Gedanke führte mich zur Wirklichkeit zurück. Ich war noch nicht recht entschieden, ob ich fliegen sollte, wie sich Sartorius dies wünschte. Wenn ich mich so verhielt, als ob ich seine Pläne vollauf guthieße, konnte ich die Krise höchstens hinauszögern; ich war fast sicher, daß es zum Zusammenstoß kommen müsse, denn ich hatte beschlossen, mein Möglichstes zu tun, um Harey zu retten. Die Frage war bloß, ob Sartorius eine Erfolgschance hatte. Seine Überlegenheit über mich war enorm, als Physiker kannte er das Problem zehnmal besser als ich, und ich konnte paradoxerweise nur auf die Perfektion der Lösungen setzen, womit der Ozean uns aufwartete. Die nächste Stunde lang brütete ich über den Mikrofilmen und suchte irgend etwas Verständliches aus dem Meer von verteufelter Mathematik herauszufischen, die der Physik der Neutrino-Prozesse als Sprache diente. Anfangs erschien mir das hoffnungslos, zumal es an unheimlich schwierigen Neutrinofeld-Theorien gleich fünf gab - ein klares Zeichen dafür, daß keine davon vollkommen war. Und doch gelang es mir zuletzt, etwas Aussichtsreiches zu finden. Eben schrieb ich mir die Formeln ab, da ertönte ein Klopfen.
Ich trat schnell zur Tür und öffnete, den Spalt mit dem Leib deckend. Snauts schweißglänzendes Gesicht guckte herein. Der Korridor hinter ihm war leer.
- Ach, du bist das - sagte ich und schwenkte die Tür weiter auf.
- Komm herein.
- Ja, ich bin das - entgegnete er. Seine Stimme war heiser, er hatte Säcke unter den geröteten Augen, an elastischen Trägern hatte er eine glänzende Strahlenschutzschürze aus Gummi vorgebunden, darunter schauten die beschmutzten Röhren dieser Hose hervor, die er immer trug. Sein Blick überflog den runden, gleichmäßig erhellten Saal und erstarrte, als er auf Harey traf, die weit hinten neben ihrem Lehnsessel stand. Wir wechselten blitzschnelle Blicke, ich zwinkerte, Snaut verneigte sich daraufhin leicht, und ich legte mir einen Konversationston zurecht und sagte:
- Das ist Doktor Snaut, Harey. Snaut, das… das ist meine Frau.
- Ich bin… ein sehr wenig sichtbares Mitglied der Belegschaft, und daher… - die Pause wurde gefährlich lang - … hatte ich noch nicht die Gelegenheit, Sie kennenzulernen… -Harey lächelte und reichte ihm die Hand, er drückte sie, einigermaßen verdutzt, wie mir schien, blinzelte ein paarmal, und dann stand er und schaute, bis ich ihn am Arm faßte.
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