Solaris
nirgendshin weiterführt.
Der Anthropo- oder auch Zoomorphismus, der beim verzweifelten Umhersuchen der Forscher unablässig wiederkehrt, deutete immer wieder andere Erzeugnisse des lebenden Ozeans als »Sinnesorgane«, oder gar als »Gliedmaßen« - denn dafür hielten die Wissenschaftler (so Maartens und Ekkonai) eine Zeitlang Gieses »Wirbelknöchrige« und »Schneller«. Aber diese oft bis zu zwei Meilen hoch in die Atmosphäre schnellenden Protuberanzen des lebenden Ozeans sind ebensogut »Gliedmaßen«, wie ein Erdbeben die »Gymnastik« der Erdrinde wäre.
Etwa dreihundert Posten umfaßt der Katalog vergleichsweise konstant wiederkehrender Formen, die dem lebenden Ozean so häufig entspringen, daß binnen vierundzwanzig Stunden mindestens Dutzende oder auch Hunderte auf seiner Oberfläche zu entdecken sind. Am unmenschlichsten - im Sinne vollkommensten Fehlens jeder Ähnlichkeit mit irgend etwas, was der Mensch auf der Erde kennengelernt hat - sind laut Giese-Schule die Symmetriaden. Schon war bestens bekannt, daß sich der Ozean nicht aggressiv verhält, daß in seinen Plasma-StrudeIn nur umkommen kann, wer es durch eigene Unvorsichtigkeit oder Gedankenlosigkeit besonders darauf anlegt (ich rede natürlich nicht von Unfällen, die z.B. durch Schäden am Sauerstoffgerät oder an der Klimaanlage
verursacht wurden), und daß man sogar durch die walzenförmigen Flüsse der Längichte und durch die monströsen, unstet zwischen den Wolken schwankenden Pfähle der Wirbelknöchrigen mit dem Flugzeug oder sonst einer fliegenden Maschine ohne die geringste Gefahr hindurchstoßen kann: das Plasma gibt den Weg frei, es teilt sich vor dem Fremdkörper mit einer Geschwindigkeit, die der des Schalls in der Solarisatmosphäre gleichkommt, und öffnet sogar unter der Ozeanoberfläche tiefe Tunnel, wenn man es dazu zwingt (Die Energie, die es zu diesem Zweck augenblicklich aktiviert, ist enorm: in Extremfällen hat Skrjabin 1019 erg errechnet!!!). Doch an die Untersuchung der Symmetriaden machte man sich mit außergewöhnlicher Vorsicht, immer wieder zurückweichend, die Sicherheitsvorkehrungen vervielfachend, - die oft freilich Fiktion sind; die Namen derer, die als erste in die Abgründe der Symmetriaden eindrangen, kennt auf der Erde jedes Kind.
Nicht das Aussehen, das allerdings wahrlich Alpträume hervorrufen kann, ist das eigentlich Beängstigende an diesen Riesen. Eher wirkt sich da aus, daß es in ihrem Bereich nichts Feststehendes oder Gewisses gibt; selbst physikalische Gesetze unterliegen in ihnen zeitweiliger Aufhebung. Gerade die Symmetriadenforscher haben immer am lautstärksten die These wiederholt, der lebende Ozean sei vernunftbegabt.
Die Symmetriaden entstehen plötzlich. Ihre Geburt ist eine Art Eruption. Etwa eine Stunde vorher beginnt der Ozean intensiv zu glänzen, als wäre an ihm eine zwanzig bis hundert Quadratkilometer große Fläche zu Glas geworden. Hiervon abgesehen ändert sich weder sein flüssiger Zustand, noch der Rhythmus der Wellenschläge. Manchmal bricht eine Symmetriade dort aus, wo sich von einem eingesaugten Schneller her ein Trichter befunden hat, aber das ist nicht die Regel. Nach etwa einer Stunde fliegt der glasige Überzug als ungeheure Blase hoch, in der sich das ganze Himmelsgewölbe, Sonne, Wolken und alle Horizonte spiegeln, schillernd und sich brechend. Das blitzartige Farbenspiel, das teils durch Beugung und teils durch Brechung des Lichts bewirkt wird, hat nicht seinesgleichen.
Besonders heftige Lichteffekte ergeben Symmetriaden, die während des blauen Tages oder knapp vor Sonnenuntergang entstehen. Dann hat es den Anschein, der Planet gebäre einen zweiten, mit jedem Augenblick sein Volumen verdoppelnden. Kaum ist der flammenblitzende Globus aus den Tiefen hervorgeschleudert, da platzt er vom höchsten Punkt aus in senkrechte Sektoren auf. Aber das ist kein Zerfall. Dieses Stadium, nicht sonderlich glücklich »Blütenkelchphase« genannt, dauert Sekunden. Die zum Himmel strebenden Bögen der hautigen Gurtungen wenden sich um, heften sich mit der Spitze im unsichtbaren Innenraum fest und beginnen blitzschnell etwas wie einen gedrungenen Rumpf zu formieren, in dessen Innerem sich Hunderte von Phänomenen zugleich abspielen. Im Zentrum selbst, das erstmals von Hamaleas Siebzig-Mann-Equipe untersucht wurde, entsteht durch Giganto- und Polykristallisierung eine tragende Achse, die zuweilen »Wirbelsäule« genannt wird, aber ich gehöre nicht zu den Anhängern dieses
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