Solaris
dann wieder auf mein Gesicht. Ich spürte, wie ich erbleichte. Ich hatte das nicht in der Gewalt.
- Also…? - sagte er.
Ich zuckte die Achseln.
- Diese Röntgenpredigt über die Großartigkeit des Menschen halte ich für läppisch. Und du auch. Oder vielleicht nicht?
- Ja?
- Ja.
- Sehr gut - sagte er und lächelte, als hätte ich ihm einen Wunsch erfüllt. - Also du bist gegen diese Sartoriusgeschichte?
Ich begriff noch nicht, wie das gekommen war, aber ich las ihm aus den Augen ab, daß er mich dorthin gebracht hatte, wo er
mich haben wollte. Ich schwieg; was hätte ich jetzt sagen können?
- Ausgezeichnet - sagte er. - Denn es gibt noch ein zweites Projekt. Die Roche-Apparatur umzubauen.
- Annihilator…?
- Ja. Sartorius hat schon die Vorberechnungen durchgeführt, das ist realisierbar. Und wird nicht einmal große Stärken erfordern. Der Apparat wird Tag und Nacht laufen, oder auf unbestimmte Zeit, und ein Anti-Feld erzeugen.
- Wart, wart doch! Wie stellst du dir das vor?
- Sehr einfach. Das wird ein Anti-Feld für Neutrinos. Die gewöhnliche Materie bleibt unverändert. Der Vernichtung unterliegen nur… Neutrino-Gefüge. Verstehst du?
Er lächelte befriedigt. Ich saß mit halb offenem Mund da. Snaut hörte langsam zu lächeln auf. Er runzelte die Stirn, sah mich forschend an und wartete.
- Das erste, das Projekt »Gedanke« verwerfen wir also. Wie? Und das zweite? Sartorius sitzt schon dahinter. Nennen wir es »Freiheit«.
Ich schloß einen Moment die Augen. Plötzlich entschied ich mich. Snaut war kein Physiker. Sartorius hatte das Visofon ausgeschaltet oder zerstört. Sehr gut.
- Ich möchte es lieber »Schlächterei« nennen … - sagte ich langsam.
- Du warst selbst schon Schlächter. Oder vielleicht nicht? Nun aber wird das etwas ganz anderes sein. Keine »Gäste«, keine F-Gebilde, nichts. Schon in dem Moment, wo die Materialisierung erscheint, tritt der Zerfall ein.
- Das ist ein Mißverständnis - entgegnete ich, wiegte den Kopf und lächelte, einigermaßen natürlich, wie ich hoffte. - Das sind keine moralischen Skrupel, sondern Selbsterhaltungsinstinkte. Ich will nicht sterben, Snaut.
- Wie…?
Snaut war verblüfft. Er sah mich argwöhnisch an. Ich zog den zerknitterten Zettel mit den Formeln aus der Tasche.
- Auch ich habe daran gedacht. Wundert dich das? Schließlich habe ich als erster die Neutrino-Hypothese aufgebracht, oder vielleicht nicht? Schau her. Ein Anti-Feld läßt sich erregen. Für gewöhnliche Materie ist es unschädlich. Das stimmt. Aber im Moment der Destabilisierung, wenn das Neutrino-Gefüge zerfällt, wird als Überschuß die Energie seiner Bindungen frei. Wenn wir pro Kilogramm Ruhmasse zehn zur achten erg annehmen, erhalten wir je F-Gebilde fünf bis sieben Mal zehn zur achten. Weißt du, was das bedeutet? Das entspricht einer kleineren Uranladung, die innerhalb der Station explodieren würde.
- Was du nicht sagst! Aber… aber Sartorius muß das in Rechnung gezogen haben …
- Nicht unbedingt - widersprach ich mit boshaftem Lächeln. - Siehst du, die Sache ist die, daß Sartorius zur Schule Frazers und Cajollas gehört. Ihrer Meinung nach wird im Augenblick des Zerfalls die gesamte Energie der Bindungen in Gestalt von Lichtstrahlung freigesetzt. Das wäre einfach ein starker Blitz, vielleicht nicht ganz ungefährlich, aber nicht zerstörend. Es bestehen aber auch andere Hypothesen, andere Theorien des Neutrinofeldes. Laut Cayatt, laut Avalov, laut Siona ist das Emissionsspektrum wesentlich breiter, und das Maximum fällt auf harte Gammastrahlung. Das ist brav, daß Sartorius seinen Meistern und ihrer Theorie glaubt, aber es gibt auch andere, Snaut. Und weißt du, was ich dir sage? - fuhr ich fort, denn ich sah, daß meine Worte Eindruck auf ihn machten.
- Es heißt auch den Ozean in Rechnung ziehen. Wenn er getan hat, was er getan hat, dann hat er bestimmt die optimale Methode angewendet. Anders gesagt: seine Aktion scheint mir ein Argument zugunsten dieser zweiten Schule zu sein, und gegen Sartorius.
- Gib mir dieses Papier, Kelvin…
Ich reichte es ihm. Er neigte den Kopf und bemühte sich, mein Gekritzel zu entziffern.
- Was ist das? - Snaut wies mit dem Finger hin.
Ich nahm den Zettel wieder.
- Das? Der Tensor der Transmutation des Feldes.
- Gib mir das…
- Wozu?- fragte ich. Ich wußte Snauts Antwort im
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