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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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nicht das unerhörte Glück gehabt hatte, als Japaner zur Welt zu kommen.
    »Okay«, versprach ich. »Ich schnüffle ein bißchen herum.« Moriyama sah mir forschend in die Augen.
    Dann, als müsse er sich einen Ruck geben, öffnete er eine Schublade unter seinem Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier heraus, das am Rand einen roten Streifen hatte.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen meine Befürchtungen eindringlich genug habe deutlich machen können«, erklärte er mit ungewöhnlichem Ernst. »Deshalb will ich Ihnen eine Mitteilung zeigen, die ich vor vier Wochen erhalten habe und über die Sie bitte Stillschweigen bewahren. Sie kennen Professor Yamamoto?«
    Ich nickte. Ich erinnerte mich dunkel an ein Seminar an der Universität von Tokio, auf dem er über verschiedene Konzepte raumgestützter Sonnenenergiegewinnung referiert hatte. Yamamoto hatte das Steuerungssystem des Energiesenders entwickelt, und wir hatten ihn um Rat fragen wollen, als die Störungen auftraten. Es hatte jedoch geheißen, er liege mit einem schweren Herzinfarkt im Krankenhaus und sei nicht ansprechbar.
    Moriyama reichte mir das Blatt. Es war eine verschlüsselte Mitteilung, die er eigenhändig mit dem Code des Kommandanten entschlüsselt hatte:
    VERTRAULICH . PROFESSOR YAMAMOTO WURDE VOR ZWEI WOCHEN VON UNBEKANNTEN AUS SEINEM WOHNHAUS ENTFÜHRT . ES FEHLT JEDE SPUR . WIR HALTEN DEN VORFALL EINSTWEILEN GEHEIM . ISA , TOKIO , SICHERHEITSABTEILUNG .
    Ich starrte das Papier an. Jetzt spürte ich sie auch, die Staubwolke am Horizont. Den Geruch von Gefahr.
    »Regt das Ihre Phantasie an?« fragte Moriyama.
    »Ja«, nickte ich und reichte ihm das Blatt mit dem roten Rand, auf dem in japanischen Schriftzeichen Streng vertraulich stand, zurück.
    Ich war schon am Gehen, als er plötzlich sagte:
    »Ach, und wenn ich Ihnen noch einen Tip geben darf, Leonard…«
    Ich faßte den Haltegriff neben der Tür und wandte mich noch einmal um. Moriyama lächelte plötzlich verschmitzt. Er hatte die ganze Zeit nicht gelächelt, seit wir den Raum betreten hatten.
    »Von Mann zu Mann«, meinte er. »Achten Sie auf Ihren Bartwuchs. Ganz gleich, was sie Ihnen erzählen – japanische Frauen mögen keine Bartstoppeln.«
    Ich fuhr mit der Hand über mein Kinn. Es kratzte wie Sandpapier. Jetzt mußte ich auch grinsen.
    »Danke«, sagte ich.

KAPITEL 4
    Ich hatte eine kurze Dusche genommen – da die Japaner Reinlichkeitsfanatiker sind und es ihnen bei der Körperhygiene fast nicht heiß genug sein kann, verfügte die Raumstation trotz der ansonsten sehr beengten Wohnverhältnisse über eine geradezu gigantische Dampfduschkabine –, und nun stand ich nackt vor dem Spiegel im Waschraum, die Füße in den Bodenschlaufen eingehakt, und rasierte mich, während ich zu überlegen versuchte, wie ich vorgehen wollte.
    Aus irgendeinem Grund war es ausgerechnet die Tätigkeit des Rasierens, die mich regelmäßig in Hochstimmung versetzte. Immer, wenn ich mein Gesicht im Spiegel betrachtete, während ich mir das Kinn mit Rasierschaum eincremte, wurde mir mit atemberaubender Klarheit bewußt, daß ich mich im Weltraum befand, daß hinter diesem Spiegel nur ein schmaler Wandschrank war, hinter dem Wandschrank ein paar dünne Rohre und elektrische Leitungen, dann noch eine daumendicke Isolierwand – und dahinter begann unmittelbar das allumfassende, unauslotbare Nichts, dieser unermeßliche, leere Raum, der alle Sterne und Planeten enthielt, der größer war als jedes Menschen Vorstellungskraft, diese niemals endende Weite, von der niemand ahnen konnte, welche Wunder und welche Schrecken sie bereithielt für den, der es fertigbrachte, sie zu bereisen. Ich hatte die äußerste Grenze erreicht. Mein Leben war nicht einmal ein Aufblitzen vor dem unendlichen Abgrund der Zeit, mein Körper nur ein schwaches, zerbrechliches, verletzliches Gebilde, und trotzdem war ich hier.
    Doch die Euphorie, die ich dabei empfand, entsprang nicht einem billigen Triumph, sondern einem Gefühl tiefster Übereinstimmung mit mir selbst. Wenn es etwas gab im Leben, von dem ich überzeugt war, dann davon, daß ich das Recht hatte, hier zu sein. Mit fast religiöser Inbrunst glaubte ich, daß das Universum es von mir erwartete. Ich weiß noch, wie mein Vater einmal bei einem nächtlichen Spaziergang zum Himmel deutete, an dem unglaublich viele Sterne leuchteten wie reinstes Geschmeide – ich muß damals ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein, und wir lebten in einem verschlafenen kleinen Ort in Kansas,

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