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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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inmitten von Landwirtschaft und endlosem flachen Land –, und sagte: »Schau dir das an, Leonard, all diese Sterne. Wir Menschen sind wirklich nichts.«
    Und ich stand da, den Kopf in den Nacken gelegt, ließ mein Herz vom Anblick des Firmaments wärmen und versuchte zu verstehen, was mein Vater wohl gemeint haben konnte. »Aber Daddy«, sagte ich schließlich, »wenn wir nicht da wären, um sie anzuschauen, würden die Sterne doch ganz umsonst leuchten.« In diesem Moment war mir klargeworden, daß wir Menschen keine Parasiten im Universum sind. Wir Menschen – oder, weniger anthropozentrisch gedacht, Wesen mit Bewußtsein – sind es, die der Existenz des Universums erst Sinn verleihen.
    Okay, ich gebe zu, daß es eine Menge Leute gibt, bei denen man nicht das Gefühl hat, daß sie viel zu diesem Sinn beitragen. Vielleicht war es das Rasieren. In ihrer Blütezeit hatte die NASA, die amerikanische Raumfahrtbehörde, einige Millionen Dollar auf die Entwicklung eines weltraumtauglichen Trockenrasierers verwendet, der mittels einer Art eingebauten Staubsaugers die beim Rasieren entstehenden staubfeinen Bartpartikel zuverlässig einsaugen sollte, damit sie nicht durch die Luft schwirrten und in irgendwelchen elektronischen Anlagen Katastrophen anrichteten. Irgendwann hatte man diese Entwicklungen ergebnislos abgebrochen und schlicht verfügt, daß die Astronauten sich naß zu rasieren hätten: jeder handelsübliche Rasierschaum aus der Drogerie an der Ecke war imstande, die Bartpartikel zu binden und damit das Problem zu lösen. Und seither rasieren sich Raumfahrer, so sie es tun, naß.
    Auf der Erde rasiere ich mich immer noch trocken. Ich hatte es bis zuletzt aufgeschoben, das Naßrasieren wenigstens einmal zu üben, und vor meinem ersten Shuttlestart, vor dem Abflug zum Tanegashima Raumfahrtgelände, hatte ich mir in einem kleinen amerikanischen Laden auf dem Flughafen von Tokio ein sündhaft teures Naßrasur-Set gekauft, von Gilette, wohl um mich meiner nationalen Identität zu versichern. Am ersten Morgen in der Raumstation machte ich dann zwei aufschlußreiche Erfahrungen: erstens, daß Schwerelosigkeit das Erlernen des Naßrasierens nicht erleichtert, und zweitens, daß Blut sich – anders als Wasser, das unter Schwerelosigkeit ziemlich große Kugeln bilden kann – in einen feinen roten Nebel verwandelt, und herzlichen Glückwunsch, wenn man den mit einem Schwamm wieder einsaugen muß.
    Mit derlei Erinnerungen beendete ich meine Rasur, reinigte den Klingenkopf und packte alles in mein Fach. Dann wusch ich mir die Hände – man macht das im Weltraum mit Hilfe eines nassen Schwammes –, betätigte die Heißluftbrause, um alle noch umherschwirrenden Wassertröpfchen zu beseitigen, und verließ die Waschzelle, um mich in meiner Kabine anzuziehen. Auf dem Weg dorthin kam ich an den Bodybuilding-Geräten vorbei, an denen wir regelmäßig trainierten, um den schädlichen Einwirkungen der Schwerelosigkeit vorzubeugen, Muskelschwund etwa, Brüchigwerden der Knochen oder einer Erscheinung, die man orthostatische Intoleranz nennt: der Effekt, daß nach der Rückkehr ins Schwerefeld der Erde das Gehirn unzureichend mit Blut versorgt wird, wenn man aufrecht steht. Natürlich funktionierten diese Geräte nicht mit Gewichten, wie dies in einem irdischen Fitneßstudio der Fall gewesen wäre, sondern mit Federn und hydraulischen Kolben, und die weitaus meisten Geräte befaßten sich mit den Muskeln der unteren Körperhälfte: es war nicht Ziel, mit einem Schwarzenegger-Bizeps aus der Erdumlaufbahn heimzukehren, sondern die Beinmuskulatur, die bei Wegfall der Erdanziehung am schnellsten verkümmerte, in Form zu halten.
    Es gab zwei Wohntrakte auf dem Crew-Deck, jeweils mit fünf Kabinen. Eine Kabine stand in der Regel leer, weil die Raumstation eine Normalbesatzung von nur neun Personen hatte, und wurde als Lagerraum benutzt. Während in meinem Trakt die Hygiene- und Fitneßeinrichtungen lagen, befand sich im anderen Trakt die sogenannte Messe, das hieß die automatische Küche und ein kleiner Gemeinschaftsraum mit einem großen runden Tisch, an dem man essen, lesen oder magnetische Brettspiele spielen konnte. (Nach sieben Jahren in Japan spielte ich allerdings immer noch so schlecht Go, daß ich für die japanischen Crewmitglieder ein völlig uninteressanter Gegner war.) Natürlich gab es auch ein Videogerät und eine Sammlung – größtenteils japanischer – Videofilme.
    Die Kabine wäre angenehm groß gewesen, wenn es

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