Solo
lächelte, trank noch einen Schluck und schaute an Previn vorbei ans Ende des Laufgangs, dorthin, wo er in den Hauptkorridor mündete; er dachte an Morgan, der frei in diesem alten Kaninchenbau der Albert Hall herumlief und vermutlich ganz in der Nähe im Dunkeln lauerte.
Als sie sich in der Villa auf Hydra gegenüberstanden, hatte Morgan gesagt, er wolle Mikali für sich haben. Kein Anlaß, daß er jetzt anders dachte. Schließlich hatte sich inzwischen nichts geändert.
Die Ovation wurde noch frenetischer. Previn sagte: «Los, John, wenn wir nicht hinausgehen, stürmen sie das Podium.»
Als sie aufs neue erschienen, begann die Menge im Chor zu rufen: «Mikali! Mikali!» und Blumen segelten durch die Luft, College-Schals, Hüte. Jetzt waren alle im Saal aufgestanden und applaudierten. Dankten ihm für das einmalige Erlebnis, das er ihnen hatte zuteil werden lassen.
Er nickte, lächelte, winkte mit beiden Armen, warf eine Kußhand zu Katherine Riley hinauf, und dabei dachte er immer nur daran, daß es nur einen einzigen Weg gab, der vom Podium hinunterführte, den Laufgang zum Korridor, wo Morgan warten würde – warten mußte.
Und dann kam ihm eine Idee. Er drehte sich um und wechselte einen Händedruck mit dem ersten Geiger, schritt an dem Mann vorbei bis dicht ans Geländer. Darunter, in eineinhalb Meter Tiefe, war der Ausgang für die Stehplätze vor dem Podium.
Er beugte sich über das Geländer und winkte der ersten Stehreihe zu. «Es ist einfach zu viel!» rief er. «Zu schön für Worte. Mehr kann ich nicht verkraften.»
Er setzte einen Fuß aufs Geländer und sprang kurzentschlossen in den Korridor. Während er in der Versenkung verschwand, hörte er Schreie, ein jähes Aufbrüllen, aber er landete wohlbehalten, die Korridortür schlug zu, und er war weg.
Und dann hörte man nur noch Gelächter und donnernden
Applaus, alle Anwesenden, einschließlich des Orchesters, beklatschten diesen höchst unkonventionellen Abgang vom Podium, wie ihn in der langen Geschichte der Albert Hall sicherlich noch nie ein großer Künstler genommen hatte.
Der Korridor war leer, doch schon in wenigen Sekunden würde auf jedem Stockwerk des Hauses das Publikum in die Gänge strömen, um sich während der Pause an einem der Büffets zu stärken. Er ging an zwei Türen vorüber, die dritte würde ihn zum Treppenhaus führen und hinunter zum Hinterausgang.
Harry Baker sprach zur gleichen Zeit mit zwei uniformierten Polizisten im Foyer. Mikali erkannte ihn sofort, machte kehrt und stieg die Treppe wieder hinauf.
War es möglich, daß er unrecht hatte? Daß Morgan schließlich doch Vernunft angenommen hatte? Er eilte den noch immer leeren Gang entlang, auf die Tür zu, die zur Loge des Bühnenportiers und zum Künstlerausgang führte.
Als er dort angelangt war, spähte er vorsichtig in die Runde und sah zwei uniformierte Polizisten, die sich vor dem Regen innerhalb des Gebäudes untergestellt hatten, etwas, das er in all den Jahren in der Albert Hall niemals erlebt hatte.
Es genügte. Sein sechster Sinn, der ihm schon so oft das Leben gerettet hatte und die Gefahr witterte wie ein Dschungeltier, sagte ihm, daß er sich in höchster Bedrängnis befand.
Er machte wieder kehrt und eilte den Korridor in der Gegenrichtung entlang, eine seltsame, elegante, einsame Gestalt im schwarzen Frack mit weißer Schleife, und Sekunden später bogen vor ihm André Previn und ein ganzer Schwarm von Leuten um die Ecke und kamen auf ihn zu.
Im Handumdrehen war er von aufgeregten Bewunderern umringt. Previn sagte: «Was wollten Sie denn vorhin ausprobieren? Sich den Hals brechen? Eine einmalige Art, das Podium zu verlassen, sogar für den letzten Abend der Promenaden-Konzerte.»
«Wollte nur einen bescheidenen kleinen Beitrag zu den alten Bräuchen leisten», sagte Mikali.
«Aber jetzt kommen Sie, alles wartet bereits auf Sie im Prince-Consort-Saal. Die Herzogin von Kent, der griechische Botschafter, der Premierminister. Leute, die sich nicht gern hinhalten lassen.» Previn lachte. «Sie repräsentieren England.»
Er nahm Mikali beim Arm und zog ihn energisch mit sich.
Die Treppe zum Prince-Consort-Saal war voller Menschen, und Katherine Riley hatte alle Mühe, sich einen Weg durch das Gedränge zu bahnen. Schließlich erreichte sie die Glastüren, doch ein livrierter Diener verstellte ihr den Zutritt.
«Ihre Einladung, bitte, Miß.»
«Ich habe keine», sagte
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