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Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
Autoren: Scott Nicholson
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Jetzt mahlten ihre Kiefer wieder in aller Seelenruhe. Das Tier, das ihm am nächsten stand, war ungefähr dreißig Meter entfernt und knabberte die Rinde von einem jungen Baum. Es war weiß-braun gefleckt mit langen, trichterförmigen Ohren und kurzen, krummen Hörnern. Wie alt die Ziegen waren, war schwer zu sagen – schließlich wurden sie fett und bekamen einen Bart, bevor sie ein Jahr alt waren. Diese hier schätzte Alex auf ein mittleres Alter. Wahrscheinlich würde sie diesen Winter sowieso im Kühlschrank verbringen.
    Alex blickte über den Pfeil und zielte etwas höher als nötig, um der Schwerkraft entgegenzuwirken. Gerade wollte er schießen, als er sah, wie sich im Gestrüpp hinter der Herde etwas bewegte. Da kam jemand auf ihn zu. Mist. Bestimmt Odus Hampton, dieser primitive Trottel, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt und immer im Tante-Emma-Laden abhing. Odus half manchmal bei Smith aus und bekam dafür ein bisschen Geld für Schnaps und ab und zu was von der Ernte. Wahrscheinlich war er seinem Herrn und Meister zutiefst ergeben. Das hatte das alte Bergvolk so an sich. Sie hielten noch immer fest an den Idealen, die ihre irischen und schottischen Vorfahren mit in die Berge gebracht hatten, als sie sich in die Freiheit der südlichen Appalachen gerettet hatten. Im Herzen waren sie zwar Rebellen, sonst wären sie nicht abgehauen, doch sie maßen sich noch immer an den Wertesystemen ihrer unterdrückerischen Herrscher. Für einen Dollar taten sie alles.
    Vielleicht war Odus aber auch nur besoffen.
    Und vielleicht hatten die alten Schotten und Iren eine Menge gemeinsam mit regierungsfeindlichen Kiffern. Sie wollten alle nur ihre Ruhe haben.
    Alex stand geschützt hinter ein paar kleinen Pappeln, so dass Odus ihn nicht gleich sehen konnte. Alex entspannte den Bogen und verbarg sich in seinem Versteck. Er wollte warten, bis Odus vorbei war. Die Ziegen ließen sich von Odus nicht aus der Ruhe bringen. Das machte keinen Sinn. Wenn Odus sie immer fütterte, dann wären sie sofort auf ihn zugerannt gekommen, sobald sie seinen whiskeyverseuchten Atem gerochen hätten.
    Alex schaute aus seinem Versteck hervor. Es war nicht Odus, der da auf dem Feldweg entlanglief.
    Es war ein Mann mit Hut und einem schlecht sitzenden Anzug, der an den Armen zu kurz war. Er trug einen zerfledderten schwarzen Schlips in der Form eines Kreuzes. Sein Leinenhemd unter dem schmuddeligen Überzieher hatte die Farbe schmutziggelber Zähne. Unter den zu kurzen Ärmeln schauten seine knochigen Handgelenke hervor. Auch seine blassen Unterarme waren ein Stück weit zu sehen. Seine Lederschuhe hatten vorn eine gerade Kante, und seine Wollhose war voller Risse und Mottenlöcher. Die überbreite Krempe seines Hutes verbarg sein Gesicht.
    Scheiß Fernsehen. Der sieht ja aus wie in Twilight Zone. Was läuft der Alte Zausel hier so rum?
    Alex überlegte, ob er zurück zu seinem Auto laufen und davonfahren sollte. Aber dann hätte der Mann ihn mit seinem Pfeil und Bogen gesehen. Der Fremde hätte zwar nicht gewusst, dass Alex eine Ziege erlegen wollte, doch vielleicht hätte er Gordon von der Begegnung erzählt. Und Gordon würde eventuell Verdacht schöpfen, den Weg hochfahren und an Alex’ Tür klopfen, oder er würde auf seinem Grundstück herumschnüffeln. Oder schlimmer noch, Gordon würde vielleicht zur Polizei gehen und Alex als Eindringling auf seinem Grundstück anzeigen, und dann würden sie mit einem Haftbefehl vor seiner Tür stehen, egal, ob er schuldig war oder nicht. Genauso waren die bescheuerten Bullen nämlich. Sie erfanden einfach einen sinnlosen Grund, um bei dir rumzuschnüffeln, und dann fanden sie wirklich etwas, mit dem sie dich drankriegten. Das war dasselbe, wie wenn sie dich wegen eines kaputten Bremslichts anhielten und dich dann wegen Trunkenheit am Steuer einbuchteten. Genauso konnte eine falsche Anschuldigung wegen Eindringens auf fremden Grund dazu führen, dass sie dich wegen illegalen Anbaus harmloser Rauschmittel in den Knast brachten.
    Alex beschloss, einfach abzuwarten. Vielleicht war der Fremde ja auch ein Eindringling. Vielleicht lief er nur mitten durch die Ziegenherde und ging dann runter zur Straße. Der Alte Zausel konnte genausogut einfach wieder verschwinden.
    Doch der Fremde dachte gar nicht daran weiterzulaufen. Mitten in der Ziegenherde blieb er plötzlich stehen, dort, wo die Ziegen Goldrute und Mädchenauge zertrampelt hatten. Er beugte seinen Kopf so weit nach vorn, dass sogar der
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