Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
bekehren gab. Wo war dann das große Ziel? David hatte ihm erklärt, dass das große Ziel darin bestand, sein Leben richtig zu führen und gut auszukommen. Regelmäßige Kirchenbesuche konnten dabei nicht schaden. Außerdem war das hier eine Gemeindekirche. Zwar hatten die meisten Familien heutzutage ein Auto und konnten eigentlich auch in eine andere Kirche fahren, nach Windshake oder Titusville, die etwas mehr hermachte als die in Solom. Doch die meisten Leute besuchten die Kirche am liebsten in dem Ort, in dem sie aufgewachsen waren.
Das Durchschnittsalter der Gemeinde wurde immer älter, wohl war. Aber das traf auf alle Glaubensrichtungen der Baptisten zu. Die jungen Leute konnten mit der Bibel nicht mehr so viel anfangen wie früher, und David konnte ihnen das nicht mal übelnehmen.
Die Motorsense fraß sich durch das Unkraut und Gestrüpp, das rund um das Gebäude wuchs. Die Berge warfen das Echo des Benzinmotors zurück, blauer Rauch stieg in den wolkenlosen Himmel. Der Mähfaden wirbelte durch den Schotter, ein Steinchen flog durch die Luft und knallte gegen die Kirchenwand. An Davids Hosenbeinen klebten geschredderte Pflanzenreste.
David wollte gerade das Gras um die alten Grabsteine trimmen, als er an der ersten Grabstelle ein kleines schwarzes Loch bemerkte. Er stellte die Motorsense ab. Seine Ohren summten, weil es plötzlich so still war. Er kniete sich neben das Loch. Es war das Grab von Harmon Smith, dem Wanderprediger aus dem 19. Jahrhundert. Die Wanderprediger ritten bei Wind und Wetter von Gemeinde zu Gemeinde und wohnten dabei immer eine oder zwei Wochen bei einer anderen Familie. David bewunderte die Hingabe, mit der sich Männer wie Smith Gott verschrieben hatten, auch wenn Harmon in seinem Glauben etwas großzügig gewesen war. Er hatte vor allen Glaubensgemeinschaften gepredigt. Es hieß, es sei ihm sogar gelungen, seine Botschaft bei allen an den Mann zu bringen. Niemals habe er dabei den Fehler begangen, einen Primitiven Baptisten erlösen zu wollen oder bei den Fußwaschungszeremonien der »richtigen alten Baptisten« eine Frau einem Mann die Füße waschen zu lassen. Dann war er, wie die Alten sagten, ein wenig schrullig geworden. Er begann, an Opfergaben zu glauben. Dafür hielt er sogar sein eigenes Vieh, das er im Sinne des Alten Testaments opferte.
Wahrscheinlich war das Loch am Grab nur ein Mauseloch. David suchte nach einem Stein, mit dem er es verschließen konnte. Bestimmt hatte die Mäusehöhle auch einen Hintereingang. David fand es nicht in Ordnung, dass sich irgendein Wesen bei den Knochen des alten Predigers tummelte. Harmon Smith verdiente es in Frieden zu ruhen.
David ging zum Parkplatz und fand dort einen faustgroßen Stein. Er warf ihn in die Luft, um zu fühlen, wie schwer er war. In der Baseballmannschaft der Titusville Highschool war David Werfer gewesen. Noch heute spielte er mit Begeisterung Softball in der Kirchenliga. Als er wieder zum Grab ging, sah er gerade noch, wie eine dunkle Schwanzspitze im Mauseloch verschwand. Zu groß für eine Maus. Und irgendwie schuppig.
Fast wie eine …
David dachte bei sich, dass sich eine Schlange an so einem schönen, sonnigen Tag bestimmt nicht in der Erde verkriechen würde. Sie würde sich auf einen warmen Stein legen und sich sonnen. Bei seiner Arbeit als Gärtner hatte es David immer wieder mit Schlangen zu tun. Die meisten waren harmlos, allerdings gab es in den Bergen auch Kupferköpfe und Klapperschlangen. Und an den Flüssen und Bächen lebten Wassermokassinottern. David ging langsam näher und hielt den Stein in die Höhe, damit er ihn gleich werfen konnte, falls die Schlange ihren Kopf aus dem Loch steckte.
Ein Auto kam vorbeigefahren, bremste und hupte. David hob die linke Hand zum Gruß, ohne den Blick von dem Loch abzuwenden. Das Auto kam auf den Parkplatz gerollt. David wurde bewusst, wie dämlich er aussehen musste, wie er da auf dem kleinen Friedhof mit seinen grauen, verwitterten Grabsteinen stand, in der Hand einen Stein wie ein Kind, das sich vor Gespenstern fürchtete.
Er schleuderte den Stein in den Bach. Die Autotür ging auf, heraus kam James Greene aus dem Kirchenrat. Er trug einen Jeansoverall und ein kariertes Hemd. Die Ärmel hatte er hochgeschlagen, so dass seine dünnen Unterarme zum Vorschein kamen, die mit drahtigen, silbergrauen Härchen bewachsen waren. Greene nahm sein Atlanta Braves Basecap ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich die Kappe wieder schief auf die
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