2 - Wächter des Tages
Prolog
Der Hauseingang flößte keinen Respekt ein. Das Zahlenschloss hing heraus und funktionierte nicht, überall auf dem Fußboden lagen platt getretene Kippen billiger Zigaretten. Im Fahrstuhl prangten unzählige hirnlose Graffiti, in denen das Wort Spartak genauso oft vorkam wie saftige Vulgärausdrücke; die Knöpfe waren von Zigaretten durchgebrannt und die Löcher sorgsam mit hart gewordenem Kaugummi verklebt.
Auch die Wohnungstür im dritten Stock fügte sich ins Bild: Erbärmliches Kunstleder, noch aus Sowjetzeiten, billige aufgesetzte Ziffern aus Aluminium, die jeden Moment von den schräg hineingedrehten Schrauben zu fallen drohten.
Natascha zögerte einen Moment, bevor sie die Klingel drückte. Wie dumm, irgendwelche Hoffnungen zu hegen und hierher zu kommen. Wenn sie schon so dämlich sein musste, zu Magie Zuflucht zu suchen, dann hätte sie die Zeitung aufschlagen, den Fernseher einschalten oder Radio hören sollen. Seriöse Einrichtungen, erfahrene Übersinnliche mit internationalen Diplomen ... Aber was soll's, letztendlich war das natürlich genauso ein Schwindel. Vielleicht wäre dann jedoch wenigstens die Atmosphäre angenehmer gewesen, die Leute respektabler. Vielleicht wäre sie nicht in diesem Nest von Versagern gelandet.
Trotzdem drückte sie schließlich auf den Klingelknopf. Es wäre schade um die Zeit, die sie für den Weg hierher gebraucht hatte.
Ein paar Minuten lang glaubte sie, die Wohnung sei leer. Dann hörte sie hastige Schritte, wie sie charakteristisch für einen Menschen in Eile sind, der aufpassen musste, die ausgelatschten Pantoffeln nicht zu verlieren. Der kleine primitive Spion verdunkelte sich kurz, dann klapperte das Schloss und die Tür ging auf.
»Natascha, ja? Komm rein, komm rein...«
Leute, die sie sofort duzten, mochte sie nicht. Gewiss, sie selbst bevorzugte diese Form der Anrede auch. Aber sollte man nicht wenigstens der Ordnung halber vorher um Erlaubnis bitten?
Inzwischen zog die Frau, die die Tür geöffnet hatte, sie bereits hinein, indem sie Natascha ohne zu fackeln am Arm packte, wobei sich auf ihrem nicht mehr jungen, grell geschminkten Gesicht eine derart aufrichtige Gastfreundschaft widerspiegelte, dass Natascha nichts dagegenzusetzen hatte.
»Eine Freundin von mir hat mir gesagt, Sie würden ...«, fing Natascha an.
»Ja, ich weiß, ich weiß doch, meine Liebe.« Die Frau winkte ab. »Ach, du brauchst die Schuhe nicht auszuziehen, ich wollte nämlich gerade sauber machen ... Oder warte, ich hol dir doch Hausschuhe.«
Natascha sah sich um, konnte ihren Ekel dabei aber kaum verbergen.
Eine nicht unbedingt kleine, aber unglaublich zugemüllte Diele. An der Decke baumelte eine trübe Glühbirne, die, obwohl sie mal gerade mit 30 Watt funzelte, die allgemeine Unordnung erkennen ließ. An der Garderobe hingen Unmengen von Kleidern, zur Freude der Motten sogar ein Winterpelz aus Bisam. Das Linoleum von verwaschener grauer Farbe löste sich vom Boden ab. Offensichtlich wollte die Hausfrau schon seit einer ganzen Weile sauber machen.
»Du heißt Natascha, Töchterchen? Ich bin Dascha.«
Dascha war fünfzehn, zwanzig Jahre älter als sie. Mindestens. Sie hätte tatsächlich gut und gern Nataschas Mutter sein können - nur dass man sich einer solchen Mutter lieber gleich den Strick nahm! Eine fette Frau mit ungewaschenem stumpfen Haar, grell lackierten Fingernägeln - und natürlich blätterte der Lack bereits ab -, in einem ausgewaschenen Kittel und mit ausgetretenen Latschen an den nackten Füßen. Mein Gott, selbst die Zehennägel waren lackiert! Wie vulgär!
»Sie sind eine Kräuterfrau?«, fragte Natascha. Um sich innerlich zuzuschreien: Und ich bin eine Idiotin!
Dascha nickte. Nach einigem Stöbern zog sie aus einem wüsten Schuhberg ein Paar Gummilatschen. Die bescheuertsten Dinger, die die Menschheit je erfunden hatte, mit zahllosen hochstehenden Gumminoppen innen drin. Der Traum eines Yogi. Ein Teil dieser Gumminägel fehlte schon seit langem - was freilich nicht zu ihrer Bequemlichkeit beitrug.
»Zieh die an!«, schlug Dascha fröhlich vor.
Wie hypnotisiert streifte Natascha ihre Sandalen ab und zog die Latschen an. Lebt wohl, ihr Perlons. Ohne Laufmaschen würde sie hier bestimmt nicht wieder rauskommen. Selbst bei diesen berühmten Omsa mit dem sagenhaften Lycra nicht. War eben doch alles auf der Welt Beschiss, den sich durchtriebene Blödmänner ausdachten. Und auf den kluge Leute aus irgendeinem Grund immer wieder hereinfielen.
»Ja,
Weitere Kostenlose Bücher