Someone like you - Dessen, S: Someone like you
Kind in der Pubertät am besten klarkommt, wie man den Kontakt nicht verliert. Ihre Freundinnen jammerten ihr beim Kaffeetrinken die Ohren voll, weil ihre Söhne und Töchter im Teenageralter nur noch rumflippten oder Drogen nahmen, und erkundigten sich verwundert, wie meine Mutter und ich es bloß schafften, so gut miteinander auszukommen.
Meine Mutter schüttelte dann immer verständnislos den Kopf: »Keine Ahnung. Halley und ich stehen uns eben sehr nahe. Wir reden einfach über
alles
.«
Aber zu Beginn jener Sommerferien, die gerade zu Ende gingen, änderte sich auf einmal etwas. Ich kann nicht sagen, wann und wie genau es anfing. Aber es geschah nach unserer Reise zum Grand Canyon.
Meine Eltern und ich fuhren jedes Jahr in den Sommerferien irgendwohin. Einmal im Jahr gaben wir richtig Kohle aus und machten eine coole Reise, nach Mexiko oder Europa. In diesem Sommer fuhren wir mit dem Auto quer über den amerikanischen Kontinent bis nach Kalifornien |26| und anschließend zum Grand Canyon; wir machten unterwegs Halt, wo es uns gefiel, schauten uns großartige Landschaften an, besuchten Verwandte. Mein Vater saß fast die ganze Zeit am Steuer, so dass meine Mutter und ich auf der Rückbank abhängen, miteinander quatschen und Radio hören konnten. Während wir Bundesstaatsgrenzen über querten und Landschaften an uns vorüberzogen, dachten wir uns Songtexte aus und erzählten Witze. Wir hatten echt unseren Spaß. Fast jeden Tag zwangen mein Vater und ich sie, Fastfood mit uns zu essen – die Rache für ein Jahr Rukolasalat und Ricotta-Tortellini. Zwei Wochen lang waren wir auf Achse, meine Eltern und ich; manchmal zofften wir uns ein bisschen, aber meistens ging es uns einfach gut miteinander.
Doch nachdem wir nach Hause zurückgekehrt waren, passierten drei Dinge auf einmal. Entscheidende Dinge. Erstens fing ich mit meinem Ferienjob im Supermarkt an. Am Ende des Schuljahrs waren Scarlett und ich von Pontius zu Pilatus gelaufen, um Bewerbungen auszufüllen, doch nur
Milton’s Supermarket
hatte genügend Jobs zu vergeben, so dass wir beide dort anfangen konnten. Bei meiner Rückkehr hatte Scarlett bereits zwei Wochen lang dort gearbeitet, deshalb konnte sie mir alles Notwendige beibringen. Außerdem lernte ich durch sie Ginny Tabor kennen; während ich weg war, hatte Scarlett sich häufiger mit ihr im Schwimmbad getroffen. Ginny war Cheerleaderin an unserer Schule, eine ziemlich wilde Type mit einem ziemlich wilden Ruf beim gesamten Footballteam – und das nicht nur wegen ihrer fetzigen Parolen, mit denen sie die Mannschaft anfeuerte, oder ihrer berühmten Spagatsprünge. Sie wohnte ein paar Kilometer von uns entfernt in Arbors, einem schicken Viertel mit eleganten alten Villen |27| einschließlich exklusivem Country Club, Schwimmbad und Golfplatz. Ginny Tabors Vater war Zahnarzt; ihre Mutter wog höchstens vierzig Kilo, rauchte mehrere Packungen Benson & Hedges pro Tag und hatte eine Haut, die dem Ledersofa in unserem Wohnzimmer Konkurrenz machte. Sie überschüttete Ginny mit Kohle und ließ uns ansonsten in Ruhe, so dass wir ungestört durch die Straßen von Arbors streifen oder uns nachts über den Golfplatz schleichen konnten, um uns mit Jungen zu treffen.
Was wiederum zum dritten großen Ereignis des Sommers führte: Zwei Wochen nach meiner Rückkehr von der Fahrt mit meinen Eltern trennte ich mich nämlich von Noah Vaughn, mit dem ich seit einem Jahr zusammen gewesen war – eine mehr als öde Beziehung.
Noah war mein erster »Freund«, was bedeutete, dass wir einander täglich anriefen und uns manchmal küssten. Er war groß, dünn, hatte volles schwarzes Haar und ein bisschen Akne. Seine Eltern waren die besten Freunde meiner Eltern, weswegen wir, seit es uns überhaupt gab, so ungefähr jeden Freitagabend miteinander verbracht hatten, entweder bei ihnen oder bei uns. Für den Anfang war Noah nicht schlecht gewesen. Aber nach meiner Einführung in die neue, aufregende Welt von Ginny Tabor musste er leider aus meinem Leben verschwinden.
Noah kam nicht gut damit zurecht, und das ist milde ausgedrückt. Im Klartext: Er war tierisch beleidigt. Wenn er wie eh und je freitags mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester zu uns kam, warf er mir finstere Blicke zu, bevor er sich aufs Sofa hockte. Dann starrte er mit düsterer Miene vor sich hin und würdigte mich keiner Antwort, wenn ich durch die Haustür schlüpfte und dabei laut Tschüs sagte. Ich behauptete jedes Mal automatisch, ich |28| ginge zu
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