Someone like you - Dessen, S: Someone like you
bloß eines: Mit fünfzehn und der Führerscheinprü fung in greifbarer Nähe, nämlich in drei Monaten, war ich zu alt fürs Ferienlager, fürs Entwickeln von Wertvorstellungen und vor allem für Makramee.
»Aber es könnte eine sehr wichtige Erfahrung für dich sein«, sagte sie am selben Tag beim Abendessen zu mir. »Viel wichtiger als den ganzen Tag bei Scarlett am Pool rumzuhängen, mit nichts anderem im Kopf als braun zu werden und über Jungen zu reden.«
»Mom, es ist Sommer«, antwortete ich. »Außerdem sind die Ferien beinahe vorbei. In zwei Wochen fängt die Schule wieder an.«
»Du bist rechtzeitig zu Schulbeginn wieder zurück.« Sie blätterte auffordernd in der Broschüre.
»Ich habe einen Job.« Ein letzter, verzweifelter Versuch, den rettenden Ausweg zu finden. Scarlett und ich arbeiteten als Kassiererinnen bei
Milton’s
, dem Supermarkt unseres Viertels. »Ich kann nicht einfach zwei Wochen freinehmen.«
»Mr Averby meinte, im Moment sei nicht viel los. Es mache nichts aus, wenn du ausfällst, die anderen können für dich einspringen«, sagte sie schlicht.
»Du hast Mr Averby angerufen?!« Ich legte meine Gabel hin. Mein Vater, der bis zu diesem Moment still vor sich hin gegessen und sich nicht eingemischt hatte, warf meiner Mutter einen Blick zu. Selbst er begriff, dass es das Gegenteil von cool war, wenn man als Mutter beim Chef der Tochter anrief. »Mom, wie
konntest
du?«
|21| »Ich wollte doch nur wissen, ob überhaupt die Möglich keit besteht«, sagte sie, mehr zu meinem Vater als zu mir. Er schüttelte bloß leicht den Kopf und aß weiter. »Mir war klar, dass ihr tausend Gründe einfallen würden, um nicht hinzufahren.« Sie sprach immer noch mit meinem Vater.
»Warum sollte ich?«, rief ich empört. »Warum soll ich zwei kostbare Sommerferienwochen mit einem Haufen Leute verschwenden, die ich nicht kenne?« Mein Einwurf brachte sie wenigstens dazu, wieder mich anzusehen. »Scarlett und ich haben noch ein paar Sachen vor, Mom. Wir arbeiten extra viel, damit wir genug Geld sparen kön nen , um ans Meer zu fahren, und wir –«
»Halley.« Sie wurde allmählich gereizt. »Scarlett ist auch noch da, wenn du zurückkommst. Ich möchte wirklich, dass du zu diesem Workshop fährst. Meinetwegen und auch deinetwegen. Ist das wirklich zu viel verlangt? Ich bin mir sicher, dass du merken wirst, wie sehr du davon profitierst. Außerdem sind es nur zwei Wochen.«
»Ich will aber nicht.« Hilfe suchend blickte ich meinen Vater an, doch er lächelte mir bloß bedauernd zu, sagte keinen Ton und nahm sich stattdessen noch ein Stück Brot. Mein Vater mischte sich grundsätzlich nicht ein, wenn meine Mutter und ich uns stritten; seine Aufgabe bestand darin, die Wogen zu glätten und mich zu beruhigen, wenn der Sturm vorbei war. Wenn ich zum Beispiel Hausarrest bekam, schlich mein Vater sich hinterher zu mir, um mir einen seiner Schoko-Spezialshakes zu bringen, die einem, wie er sich ausdrückte, das Gehirn frieren ließen und seiner Meinung nach jedes Problem lösten. Wenn meine Mutter und ich uns also wieder einmal wie die Irren angebrüllt, mit sämtlichen Türen geknallt hatten und in entgegengesetzte Richtungen davongestürmt waren, hörte |22| ich irgendwann unweigerlich das Geräusch des Mixers aus der Küche. Kurze Zeit später erschien dann mein Vater im Türrahmen meines Zimmers und überreichte mir statt Friedenspfeife einen dickflüssigen, eiskalten Milchshake. Doch aus der Nummer mit dem Ferienlager kam ich nicht mehr raus. Da halfen auch keine Schokoshakes.
Auf diese Weise kam mir plötzlich, mal eben so, das Ende meiner Sommerferien abhanden. Am Sonntag drauf packte ich nämlich meine Klamotten und hockte neben meiner Mutter im Auto auf dem Weg in die Berge. Die Fahrt dauerte drei Stunden; sie erzählte die ganze Zeit von ihren eigenen Sommerferien, von all den großartigen Ferienlagern, an denen sie teilgenommen hatte. Ich würde ihr noch dankbar sein, davon war sie überzeugt. Sie setzte mich an der Pforte ab, gab mir einen Kuss auf die Stirn, sagte, sie habe mich lieb, und entschwand schließlich winkend in den Sonnenuntergang. Ich stand mit meiner Reisetasche da und blickte ihr düster nach, um mich herum lauter Girls, die ganz eindeutig genauso viel Bock auf zwei Wochen reines Mädchencamp und Selbsterfahrungsgruppen zur Entwicklung eigenständiger weiblicher Wertvorstellungen hatten wie ich.
Ich hatte so eine Art Stipendium für den Workshop, das heißt, ich musste
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