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Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
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und sauber. Der Mönch kniete sich vor mich; der Lauf meiner Waffe berührte fast seinen Unterleib. Ich starrte dieses ausdruckslose weiße Gesicht an, ohne irgendetwas zu fühlen, ohne auch nur irgendetwas zu denken.
    »Avery, du warst schon immer hartnäckig. Hast du wirklich geglaubt, ich würde dich hier nicht erwarten? Ach, ich habe ja vergessen, du hältst mich für dumm! Das hast du schon immer getan, er hat mir gesagt, du würdest kommen. Als ich in diesem gottverdammten Mönchs-Kostüm aufgewacht bin, hat es so furchtbar wehgetan, Ave, dass ich nur noch geheult und geschrien und gebetet habe. Ich habe gebetet, Avery! Kannst du dir das vorstellen? Und dann habe ich Seine Stimme gehört. In meinem Kopf. Er hat mir gesagt, Er habe mich geschaffen und ich sei Sein Sohn. Und Er hat mir gesagt, was ich tun soll.« Sein unheimliches Plastikgesicht verzog sich zu einem Lächeln, das mir eine immense Gänsehaut verpasste.
    Es war trotzdem faszinierend, einen Mönch beim Reden zu beobachten – diese fließenden Bewegungen des künstlichen Gesichts, diese modulierte, angenehme Stimme. Wenn man genau zuschaute, bemerkte man rasch, dass jeder Mönch nur eine sehr beschränkte Auswahl an Gesichtsausdrücken auf Lager hatte, und es wurde langweilig – und unheimlich –, wenn man sie erst einmal alle gesehen hatte. Aber erstaunlich war es trotzdem.
    »Einen Angriff über zwei Flügel hatte ich eigentlich nicht erwartet«, sprach er weiter. »Da hast du mich tatsächlich ein bisschen überrumpelt.« Sein Gesicht simulierte ein herzliches Lächeln. »Erinnerst du dich noch, Avery, wie du meine Hilfe gebraucht hast bei diesen verdammten Kids? Diese Burschen, die dir ständig deinen Credit-Dongle aus der Tasche gefischt haben, während du nach guten Schussfeldern gesucht hast für … was auch immer du da gerade für einen Job hattest. Du hast dagesessen und geschaut, wo das beste Schussfeld sein könnte. Wolltest ja auch wirklich jeden treffen können, auf den man dich angesetzt hatte. Aber ständig haben sich diese Kids angeschlichen und dir deinen Dongle geklaut. Wie oft haben die das gemacht? Viermal, glaube ich. Und da hast du mich gebeten, die doch ein bisschen zu ›pushen‹.« Von einem Moment auf den anderen war das Lächeln wie weggeblasen. »Nein, du hast mich nicht gebeten. Du hast mich angeschnauzt und mir befohlen, das zu tun. Du hast mich immer angeschnauzt.«
    Oh ja, ich erinnerte mich daran. Innerhalb von weniger als dreißig Sekunden hatte ich vier Leute erledigt und auf einen Schlag 145 000 Yen verdient. Fünf Tage hatte ich dafür gebraucht, das Schussfeld genau zu erkunden. Also, vom Stundenlohn her betrachtet, hatte ich da wirklich beschissen wenig verdient.
    Schlagartig war das Lächeln wieder da. »Es ist schön, dich zu sehen, Avery. Ich habe keine Freunde.«
    Ich schloss die Augen und dachte: Jetzt ist Ken endgültig durchgeknallt. Bedauerlicherweise erhöhte das nur noch die Wahrscheinlichkeit, dass ich innerhalb der nächsten Minuten umgebracht würde – eine Wahrscheinlichkeit, die ich mit geradezu klinischer Distanziertheit betrachtete. Es musste doch einen Weg geben, von diesen gottverdammten Schienen runterzukommen. Es musste einfach einen geben! Das Universum konnte doch nicht derart unfair sein. Ich kam mir schwach vor. Das Einzige aber, was dafür sorgte, dass ich die Waffe immer noch hielt und in Kevs Unterleib presste, war Kevs ›Push‹. Unter beträchtlicher Anstrengung öffnete ich die Augen, und wieder hatte sich Kevs Gesicht verändert: Jetzt blickte er mich düster an – es war eine lächerliche Maske des Hasses.
    »Avery«, sagte er.
    Ich blickte nach unten und sah plötzlich, dass Kev in seiner weißen Plastikhand eine Waffe hielt. Sie war schwarz, der Lauf rußig von reichlicher Benutzung: die Standardausführung der Mönche. Er richtete sie auf mich. Die Mündung war ein gewaltiges schwarzes Loch, eine Verkörperung des Todes. Ich starrte hinein und fragte mich, ob ich so ruhig blieb, weil ich nun einmal ein derart kaltschnäuziger Mistkerl war oder weil Kev mich immer noch ›pushte‹. »Er sagt, mit deiner Nützlichkeit sei es nun vorbei.«
    Eine Explosion sprengte die Überreste der Tür in den Raum. Die Trümmer trafen mich mit einer derartigen Wucht, dass ich zur Seite geschleudert wurde. Zwei Schüsse rissen Kev von den Füßen. Er huschte rasend schnell davon, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, die nicht einmal ansatzweise nach irgendeiner echten Mimik aussah.

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