Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Ihm folgte eine Gestalt, die ich nur undeutlich ausmachen konnte. Ich sah, wie Kev eine Hand hob; eine alte Geste, noch aus seiner menschlichen Zeit vererbt. Sie musste tief in seinem allmählich verrottenden Hirn verankert sein.
    »Halt«, befahl er.
    Die Gestalt gehorchte nicht. Sie stürzte sich auf den Mönch, schwang ihre Pistole in einem weiten, sehr unsauber ausgeführten Bogen. Letzteres schrieb ich der Aufregung zu, denn die ColonelHense, die ich kennen gelernt hatte, hätte sich niemals eine derartig schlampig ausgeführte Bewegung geleistet. Denn dieser Bogen gab Kev reichlich Zeit, den Colonel mit einigem Schwung von sich zu stoßen. Weiße Kühlflüssigkeit sprühte dabei in alle Richtungen. Henses kleiner Körper wurde weit durch die Luft geschleudert; ihre Schüsse trafen die Decke, und bevor ich mich noch fragen konnte, warum Kevs ›Push‹ bei Hense nicht wirkte, kam brüllend Happling in den Raum gestürmt. Ich hätte schwören können, dass er über das ganze Gesicht grinste, während er auf uns zurannte und eine Kugel nach der anderen auf Kev abfeuerte. Der Mönch aber war schon längst wieder auf die Beine gesprungen und duckte sich, bewegte sich zu schnell, als dass man seine Bewegungen hätte nachvollziehen können. Happling verfolgte Kev weiterhin mit seiner Waffe, verfeuerte ein ganzes Magazin in dem Versuch, meinen alten Freund zu erledigen. Dann wirbelte Kev herum und vollführte die gleiche bizarre Geste.
    »Halt!«, rief er.
    Happling erstarrte, und der Mönch schoss dem großen Kerl zweimal genau in die Brust. Happling taumelte einen Moment lang, bevor er zu Boden stürzte. Ich war plötzlich frei, mein Arm wurde schlaff, die Waffe glitt mir aus den tauben Fingern. Ich erinnerte mich: Als Kev noch ein Mensch gewesen war, hatte er immer Schwierigkeiten mit dem ›Push‹ gehabt: Nie hatte er mehr als eine Person gleichzeitig beherrschen oder eine Person längere Zeit ›gepusht‹ halten können. Die neu gewonnene geistige Klarheit, von der er mir vorgeschwärmt hatte, hatte seine Reichweite wohl nicht sonderlich vergrößert.
    Weitere Schüsse, und Hense rollte aus meinem Blickfeld. Kev verwandelte sich in einen Wirbelwind, huschte die Wand hoch und landete wieder auf dem Boden, so schnell, dass er nur undeutlich zu erkennen war. Dann sprang er in die Luft, als Hense an mir vorbeirobbte und ein leeres Magazin zu Boden fallen ließ. Bevor sie nachladen konnte, krachte der Mönch geradewegs auf sie, schmetterte sie einen oder zwei Schritte von mir entfernt gegen die Wand: Die Wucht des Aufpralls ließ den ganzen Raum erzittern.
    »Halt!«, kreischte Kev, und seine modulierte Stimme klang verzerrt, als die Schaltkreise sich abmühten, eine Emotion zu kompensieren, die man ihnen nie einprogrammiert hatte. Hense zögerte nicht, donnerte ihm eine Faust ins Gesicht, mit genug Schwung, um seinen Schädel herumzuwirbeln. Eine Sekunde lang starrten wir beide einander nur an. Dann richtete Kev den Blick wieder auf den Colonel und machte sich daran, mit seiner Waffe auf sie anzulegen. Hense hob die Hand und umklammerte mit ihren zierlichen schwarzen Fingerchen Kevs Handgelenk, und so rangen sie miteinander. Die Waffe schwenkte bald hierhin, bald dorthin.
    Hense schwitzte nicht einmal. Ich kniff die Augen zusammen, um mir da ganz sicher sein zu können. Dann konzentrierte ich mich, so leer ich mich auch fühlte, auf Ty Kieth. Der Techie war genau dort, wo man ihn hatte liegen lassen. Immer noch war er an den Untersuchungstisch gefesselt. Speicheltropfen glitzerten in seinem Knebel. Ty hatte ihn halb von seinem Mund schieben können, sodass er die Zunge frei bewegen konnte. Unsere Blicke trafen sich, und er erstarrte.
    Ich atmete tief durch, sosehr es auch schmerzte, und spie einen blutigen Schleimklumpen auf den Fußboden. Dann wuchtete ich mich in eine mehr oder weniger stabile Sitzposition. Kieth starrte mich immer noch an, die Augen weit aufgerissen. Seine Nase war völlig ruhig – ich glaube, es war das erste Mal, dass ich das bei dem kleinen Techie erlebte. Ich schaffte es, mein unverletztes Bein anzuziehen und mich dann langsam aufzurichten, während Ty mich beobachtete. Dann stand ich da, schwankte unsicher hin und her, und wieder verschwamm vor meinen Augen alles, wurde undeutlich und vernebelt. Dann wurde es langsam besser. Ich kniff die Augen zusammen, als Hense dicht vor mir durch die Luft geschleudert wurde und dann mit derart viel Schwung gegen die Wand krachte, dass ein Stück aus der