Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
im Stroh nieder, die sein Bett war.
    Der Tag war heiß, als Duane den Weg zur County Six hinunterschlurfte. Er krempelte die Ärmel seines karierten Flanellhemds hoch und dachte über Old Central und Henry James nach. Duane hatte gerade The Turn of the Screw gelesen, und jetzt dachte er an das Anwesen mit Namen Bly, an James' subtile Andeutung, daß ein Gemäuer etwas derart Böses bergen konnte, daß es >Gespenster< hervorbrachte, die die Kinder Miles und Flora heimsuchten.
    Der Alte war Alkoholiker und ein Versager, aber auch ein nachdenklicher Atheist und entschiedener Rationalist, und so hatte er auch seinen Sohn erzogen. Soweit sich Duane zurückerinnern konnte, hatte er das Universum als einen komplexen Mechanismus betrachtet, der einsichtigen Gesetzen gehorchte: Gesetzen, die von den erbarmenswerten Intellekten der Menschen nur unzureichend oder gar nicht begriffen wurden - aber nichtsdestoweniger Gesetzen.
    Er schlug das Notizbuch auf und fand die Stelle über Old Central. >... ein Gefühl von ... Vorahnung? Dem Bösen? Zu melodramatisch. Ein Gefühl des Lebendigen ...< Duane seufzte, riß die Seite heraus und steckte sie in die Tasche seiner Cordhose.
    Er kam zur County Six und wandte sich nach Süden. Sonnenlicht gleißte auf dem weißen Kies der Straße und brannte sengend auf Duanes entblößte Unterarme. Hinter ihm raschelten und summten Insekten im wachsenden Mais auf beiden Seiten des Weges zu seinem Haus.
    Dale, Lawrence, Kevin und Jim Harlen fuhren gemeinsam zur Höhle.
    »Warum müssen wir uns so weit draußen treffen, verdammt noch mal?« knurrte Harlen. Sein Rad war kleiner als die der anderen, ein Dreiundvierziger, daher mußte er doppelt so schwer strampeln, damit er den Anschluß nicht verlor.
    Sie fuhren an O'Rourkes Haus unter den großen, schattenspendenden Bäumen vorbei, nach Norden zum Wasserturm und dann auf der breiten Schotterstraße nach Osten; Kevin und Dale und Lawrence auf der festgestampften linken Spur, Harlen rechts. Es herrschte kein Verkehr, kein Lüftchen regte sich, und abgesehen von ihrem Atem und dem Knirschen von Kies unter den Reifen war kein Laut zu hören. Es war fast eine Meile bis zur County Six. In den Feldern dahinter und nördlich der Kreuzung begannen Hügel und dichter Baumbestand. Wenn sie auf der Straße vom Wasserturm blieben, würden sie in das bergige Land zwischen Elm Haven und der fast verlassenen Stadt Jubilee College gelangen. County Six führte anderthalb Meilen nach Süden und vereinigte sich mit dem Highway 151A, der Hard Road, die durch Elm Haven führte, aber die Abkürzung war kaum mehr als Reifenspuren durch die Felder und im Winter und Frühling größtenteils unpassierbar.
    Sie bogen nach Norden ab, kamen an Black Tree Tavern vorbei und brausten den steilen Hügel hinab, wobei sie förmlich auf den Rücktrittbremsen standen. Hier neigten sich die Bäume über die schmale Straße und hüllte sie in dunkle, scheckige Schatten. Als Dale >Die Geschichte vom schlafenden Tal< zum erstenmal gehört hatte - Mrs. Grossaint, ihre Lehrerin in der vierten Klasse, hatte sie im Unterricht vorgelesen -, hatte er sich diesen Ort hier mit einer überdachten Brücke in der Talsohle vorgestellt.
    Hier gab es keine überdachte Brücke, nur ein halbverfaultes Holzgeländer auf beiden Straßenseiten. Die Jungs kamen schlitternd zum Stillstand, als sie unten waren, und schoben die Räder über einen schmalen Trampelpfad durch das Unkraut auf der westlichen Straßenseite. Hier war das Unkraut hüfthoch oder noch höher und vom Staub vorbeifahrender Autos überzogen. Stacheldrahtzäune trennten den Wald vom dichten Gestrüpp am Straßenrand ab. Sie verstecken die Räder unter den Büschen, vergewisserten sich, daß sie von der Straße nicht zu sehen waren, und gingen dann weiter den Pfad entlang zum kühlen Ufer des Bächleins.
    Ganz unten war der Pfad fast unsichtbar, da er unter dem hohen Unkraut und den jungen Bäumen dahinführte und sich den schmalen Bach entlangwand. Dale führte die anderen in die Höhle.
    Es war keine Höhle. Eigentlich nicht. Aus unerfindlichen Gründen hatte das County hier ein vorgegossenes Betonrohr unter der Straße durchgelegt und nicht eins der siebzig Zentimeter durchmessenden Edelstahlrohre, wie man sie sonst überall fand. Vielleicht hatten sie im Frühling mit Überschwemmungen gerechnet; vielleicht hatten sie ein Betonrohr übrig gehabt und nicht gewußt, was sie sonst damit machen sollten. Was sie auch für Gründe gehabt haben

Weitere Kostenlose Bücher