Sommer der Nacht
Malachy's, zog das Chorhemd und die Soutane an, ohne vorher den Mantel auszuziehen oder in die braunen Schuhe zu schlüpfen, nahm an der Messe teil, während Schnee an seinen Stiefeln schmolz, und dann raste er, wenn nur die übliche Halb-sieben-Gemeinde versammelt war - Mrs. Moon, Mrs. Shaugnessy, Miß Ashbow und Mr. Kane -, mit Pater C.s Erlaubnis gleich nach dem Abendmahl los, damit er es vor dem letzten Glockenton in die Schule schaffte.
Dennoch kam er manchmal zu spät. Mrs. Shrives sagte nicht einmal mehr etwas zu ihm, wenn er hereinkam, sondern blickte nur finster drein und nickte in Richtung des Rektorats. Dort wartete Mike, bis Dr. Roon Zeit fand, ihn zu maßregeln oder ihm eine Tracht Prügel mit dem Vollstrecker zu verabreichen, dem Lineal, das Roon in der linken unteren Schublade aufbewahrte. Die Prügel machten Mike nichts mehr aus, aber es gefiel ihm nicht, daß er im Büro sitzen mußte und die Lesestunde und den größten Teil von Mathe versäumte.
Mike verdrängte jeden Gedanken an die Schule aus seinem Kopf, als er auf dem hohen Bordstein vor der Bank saß und auf den Laster wartete, der die Morgenzeitung von Peoria brachte. Es war Sommer.
Der bloße Gedanke an den Sommer, an die Wirklichkeit mit Wärme im Gesicht, dem Geruch von erwärmtem Asphalt und nassem Getreide, erfüllte Mikes Seele mit Energie und schien seine Brust zu schwellen, während der Laster kam, während er die Zeitungsbündel aufschnitt und die Zeitungen zusammenlegte -wobei er in manche Zettel klemmte; diese steckte er in ein Extrafach seiner Gepäcktasche -, während er durch die morgendlichen Straßen fuhr, Zeitungen warf, den Frauen, die Milchflaschen hereinholten, und den Männern, die in ihre Autos stiegen, um anderswo zur Arbeit zu fahren, guten Morgen zurief, und die Tatsache, daß alles Wirklichkeit war, sowie die verringerte Schwerkraft des Sommers verliehen ihm auch dann noch Auftrieb, als er sein Rad an die Mauer von St. Malachy's lehnte und ins kühle Schatten-und-Weihrauch-Innere seines liebsten Platzes auf der ganzen Welt eilte.
Dale wachte spät auf, nach acht, und er blieb noch eine ganze Weile im Bett liegen. Licht und Laubschatten der großen Ulme draußen nahmen das Fenster ein. Warme Luft wehte durch die Jalousie. Lawrence war schon auf; Dale konnte die Geräuschkulisse von Zeichentrickfilmen vom Wohnzimmer unten hören, wo sein Brüder Heckle und Jeckle und Ruff und Reddy ansah.
Dale stand auf, machte sein Bett und das von Lawrence, zog Unterwäsche, Jeans, ein T-Shirt, frische Socken und die Turnschuhe an und ging nach unten, um zu frühstücken.
Seine Mutter hatte seine Lieblingsfrühstücksflocken und Rosinentoast fertig. Sie war fröhlich und plapperte, was für Filme wohl heute abend in der Gratisvorstellung gezeigt werden würden. Dales Dad war immer noch unterwegs - sein Verkaufsbereich erstreckte sich über zwei Bundesstaaten -, aber er würde spät heute abend heimkommen.
Lawrence rief aus dem Wohnzimmer, er solle sich beeilen, er würde Ruff und Reddy verpassen.
»Das ist eine Kleinkinderserie!« rief Dale zurück. »Interessiert mich nicht.« Aber er aß trotzdem schneller.
»Oh, das war heute morgen in der Zeitung«, sagte seine Mom. Sie legte den Zettel neben seine Schüssel.
Dale lächelte, als er das billige Papier Marke Big Chief Tablet sah und Mikes sorgfältige Schrift und miserable Rechtschreibung erkannte:
ALLE TREFFENN SICH UM HALB ZEN BEI DER HÖLLE Dale aß den Rest seiner Weizenflocken und fragte sich, was so wichtig war, daß sie den weiten Weg zurücklegen und sich dort draußen treffen mußten. Die Höhle war besonderen Ereignissen vorbehalten - Geheimnissen, Notfallpalavern, speziellen Treffen der Fahrradpatrouille, als sie noch so klein waren, daß ihnen daran etwas lag.
»Es ist doch keine richtige Höhle, oder, Dale?« sagte seine Mutter mit einem leicht besorgten Unterton.
»Nn-nnn, Mom. Das weißt du doch. Nur der alte Abzugskanal draußen hinter dem Black Tree.«
»Na gut, aber vergiß nicht, daß du versprochen hast, den Rasen zu mähen, bevor Mrs. Sebert heute nachmittag zu Besuch kommt.«
Duane McBrides Vater hatte die Zeitung von Peoria nicht abonniert - er las keine Zeitungen, außer der New York Times, und die nur selten -, daher bekam Duane keinen von Mikes Zetteln. Das Telefon läutete gegen neun Uhr. Duane wartete: Sie hatten einen Gemeinschaftsanschluß - ein Klingeln galt ihren nächsten Nachbarn, den Johnsons; zweimal Klingeln galt Duanes Leitung;
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