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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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mochten, das Ding war riesig - zwei Meter im Durchmesser -, und unten befand sich eine vierzig Zentimeter breite Vertiefung, durch die der Bach fließen konnte, so daß die Jungs sich auf der gekrümmten Wand des Rohrs niederlassen und die Beine ausstrecken konnten, ohne naß zu werden. Selbst an den heißesten Tagen war es kühl in dem Rohr, und der Zugang war fast von Ranken und Unkraut zugewuchert, und durch das Dröhnen der Autos, die drei Meter über ihnen auf der Straße fuhren, wirkte das Versteck nur um so abgeschiedener.
    Hinter dem anderen Ende der Höhle hatte sich eine kleine Pfütze gebildet. Sie war nur zweieinhalb bis drei Meter breit und im Sommer vielleicht halb so tief, aber ihr war eine gewisse überraschende Schönheit eigen, wenn das Wasser wie ein Miniaturwasserfall aus dem Rohr tropfte und der tiefe Schatten der Bäume die Oberfläche des Tümpels fast schwarz färbte.
    Mike hatte den kleinen Bach, der sich in die Pfütze ergoß, Leichenbach genannt, weil in der kleinen Lache so häufig überfahrene Tiere lagen, die von der Straße oben heruntergeschleudert wurden. Dale konnte sich erinnern, wie er die Kadaver von Opossums, Waschbären, Katzen, Stachelschweinen und einmal den eines großen deutschen Schäferhundes in der Pfütze gefunden hatte. Er erinnerte sich, wie er dort am Rand der Höhle gelegen hatte, Ellbogen auf kühlem Beton, und den Hund über anderthalb Meter vollkommen ruhiges Wasser hinweg betrachtete: die schwarzen Augen des Schäferhundes waren offen gewesen und hatten Dale angesehen, und der einzige Hinweis darauf, daß das Tier tot war - abgesehen von der Tatsache, daß es auf dem Grund einer Pfütze lag -, war ein kleines Rinnsal aus seinem Maul, das wie weiße Kiesel aussah, als hätte das Tier Steine erbrochen.
    Mike wartete in der Höhle auf sie. Einen Moment später gesellte sich auch Duane McBride zu ihnen, der schnaufend und keuchend und mit rotem Gesicht unter der Mütze den Pfad entlang gestapft kam. Er blinzelte in der plötzlichen Dunkelheit des Rohrs. »Aha, die Thanatopsis Clam und Altherrengesellschaft hält Sitzung«, sagte er, immer noch ein bißchen außer Atem.
    »Hä?« sagte Jim Harlen.
    »Vergiß es«, sagte Duane. Er setzte sich und wischte sich mit dem Zipfel seines Flanellhemdes das Gesicht ab.
    Lawrence stocherte mit einem Stock, den er gefunden hatte, in einem großen Spinnennetz herum. Er drehte sich um, als Mike zu sprechen anfing.
    »Ich habe eine Idee.«
    »Puh, haltet die Pressen an«, sagte Harlen. »Neue Schlagzeilen für die morgige Zeitung.«
    »Sei still«, sagte Mike ohne Verdruß. »Ihr wart gestern alle bei der Schule, als Cordie und ihre Mom nach Tubby gefragt haben.«
    »Ich war nicht dabei«, sagte Duane.
    »Ja.« Mike nickte. »Dale, sag ihm, was passiert ist.«
    Dale beschrieb die Konfrontation zwischen Mrs. Cooke und Dr. Roon und J. P. Congden. »Old Double-Butt war auch da«, sagte er abschließend. »Sie hat gesagt, sie hätte Tubby weggehen sehen. Cordies Ma hat gesagt, das wäre Scheiße.«
    Duane zog eine Braue hoch.
    »Und was hast du für eine Idee, O'Rourke?« fragte Harlen. Er baute mit Zweigen und Blättern einen kleinen Damm in der Rinne des Rohrs. Das Wasser staute sich schon und bildete eine kleine Lache auf dem Beton.
    Lawrence zog die Turnschuhe weg, bevor sie naß wurden.
    »Sollen wir ein bißchen mit Cordie schmusen, damit sie nicht mehr so unglücklich ist?« fragte Harlen.
    »Nn-nnn«, sagte Mike. »Ich will Tubby finden.«
    Kevin hatte Kiesel in die Pfütze geworden. Jetzt hörte er damit auf. Sein frisch gebügeltes T-Shirt sah im Halbdunkel dunkel grellweiß aus. »Wie sollen wir das anstellen, wenn es Congden und Barney nicht schaffen? Und warum sollten wir überhaupt?«
    »Die Fahrradpatrouille sollte es«, sagte Mike. »So was wollten wir machen, als wir den Club gegründet haben. Und wir können es, weil wir uns an Orten umsehen können, wo Barney und Congden nicht hinkönnen.«
    »Versteh' ich nicht«, sagte Lawrence. »Wie sollen wir Tubby finden, wenn er weggelaufen ist?«
    Harlen beugte sich herüber und tat so, als wollte er Lawrence an der Nase packen. »Wir benützen dich als Bluthund, Purrsche! Wir geben dir ein Paar von Tubbys alten Stinkesocken, und dann nimmst du seine Fährte auf. Okay?«
    »Sei still, Harlen«, sagte Dale.
    »Zeig mir's doch«, sagte Jirn Harlen und spritzte Dale Wasser ins Gesicht.
    »Seid beide still«, sägte Mike. Er fuhr fort, als wäre er gar nicht unterbrochen worden.

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