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Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Titel: Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maria Scarfò
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wurden.
    Ich bitte darum, dass man uns hier, in unserem Dorf hilft. In Kalabrien. Ich habe Anzeige gestellt. Sie haben mich angehört. Jetzt dürfen sie mich nicht im Stich lassen.
    Ich schreibe. Der Entschluss des Polizeipräsidenten, sechs Personen zu verwarnen, alles Verwandte von denen, die inzwischen auch von den Zeitungen »Die Rotte« genannt werden, war ein wichtiger Schritt, ein Präzedenzfall. Wenn sie mich jetzt bedrohen und ich sie anzeige, können sie sogar verhaftet werden. Wieder hat der Staat reagiert.
    Und doch habe ich immer noch Angst. Und doch zittern nachts in unserer Wohnung die Türen und klingelt das Telefon.
    Mein Leben und das meiner Familie ist in Gefahr.
    Es ist Ende Februar. Die Carabinieri haben mich dringend einbestellt. Ich gehe in die Kaserne von Taurianova; seit einiger Zeit haben sie dort einen neuen Kommandanten. Er ist noch sehr jung, kommt aus dem Norden, aus der Emilia, aber er kennt Kalabrien gut. Er ist immer ernst und sehr förmlich, doch er nimmt sich meines Falles sofort an. Ich mag ihn auf Anhieb.
    »Anna Maria, die Carabinieri werden dich niemals im Stich lassen.«
    Als er mir das sagt, denke ich, das klingt wie ein Satz aus einem Film. Aber ich weiß, dass es wahr ist. Ich weiß, dass es so sein wird.
    Ich bleibe nur wenige Minuten im Büro des Capitanos und habe ein wenig Herzklopfen.
    »Es wurde beschlossen, dir und deiner Familie Begleitschutz zur Seite zu stellen. Ich werde mich persönlich darum kümmern.«
    Hinter dem Holzschreibtisch im Büro des Capitanos stehen Regale mit Büchern und Rahmen mit Fotos von Männern in Uniformen und silberne Wappen. Ich kann sie auf die Entfernung nicht gut erkennen. Und vor Aufregung bin ich nicht einmal in der Lage, ihm in die Augen zu schauen.
    »Was heißt das, Begleitschutz?«, frage ich den Capitano, sehe dabei aber den Carabiniere an, der neben ihm steht.
    Also erklärt es mir der Tenente. Ebenfalls ein Offizier der Armee. Auch er ist ernst, aber nicht so ernst wie der Capitano. Und als er anfängt, entspanne ich mich glücklicherweise etwas.
    »Anna Maria, von nun an wird immer ein gepanzertes Fahrzeug mit zwei Carabinieri über dich und deine Familie wachen. Jedes Mal, wenn ihr das Haus verlassen wollt, müsst ihr uns das mitteilen, und dann kommen sie mit euch. Nachts dürft ihr das Haus aber nicht mehr verlassen. Ich gebe dir meine Handynummer, ruf mich an, egal, was es gibt. Du wirst sehen, es wird alles gut. Das wird bald vorübergehen. Du bist nicht mehr allein. Du bist so tapfer gewesen.«
    Ich glaube ihm.
    Seit Februar 2010 lebe ich unter Polizeischutz, habe ständig eine Polizeieskorte.
    Das Dorf
    Das Dorf setzt sich in Bewegung. Man hört Schritte. Schnelle Schritte, kleine Schritte, schlurfende Schritte und entschlossene Schritte. Keiner sagt ein Wort. Dazu gibt es keinen Anlass, und niemand möchte das.
    Das Dorf geht auf die Straße. Es ist Sonntag, der 7. März 2010. Tausend Menschen, mehr als die Hälfte der Einwohner von San Martino di Taurianova, ziehen mit Fackeln in den Händen durch die Straßen. Ein Spruchband wird an der Spitze des Zuges getragen: »Nein zur Gewalt«. Aber es gibt noch eine zweiten Parole: »Nein zur Kriminalisierung des Dorfes«.
    Anna Maria ist zu Hause. Sie ist nicht auf der Straße. Auch ihre Familie ist zu Hause geblieben.
    Der Fackelzug ist für sie. Aber sie ist nicht dabei.
    Der Fackelzug ist für das Dorf.
    Im Fernsehen hat man über San Martino berichtet. In den kleinen Ort in der Ebene von Gioia Tauro sind Journalisten aus Rom und Turin gekommen. Mit TV -Kameras und ihren Fernsehteams, um die Geschichte von dem Mädchen zu erzählen, das von einer Polizeieskorte beschützt wird, von dem ganzen Dorf, das des Stalkings bezichtigt wird. »Der erste Fall in Italien«, wiederholen die Titelseiten der Zeitungen.
    Aber das Dorf? Das Dorf wehrt sich jetzt. »Wir sind nicht alle Vergewaltiger … Wir verurteilen Gewalt, um Gottes willen, aber durch Anna Marias Anzeige sind wir alle da mit hineingezogen worden, und es ist genauso falsch, ein ganzes Dorf zu verurteilen.«
    Aber was hat das Dorf getan?
    Das Dorf geht mit Fackeln in der Hand auf die Straße und lässt Anna Maria zu Hause.

Mit denselben Waffen
    I ch habe Begleitschutz, aber ich verlasse das Haus nicht. Ich habe keinen Grund, es zu verlassen. Ich habe keine Freunde. Ich habe keine Arbeit. Warum sollte ich also nach draußen gehen? Ab und zu denke ich ans Meer. Ich würde gern mal ans Meer fahren, der Sommer steht vor der

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