Sommer in Lesmona
da eigentlich los?» Der eine Mann rief ganz strenge:
«Haben Sie da was aus dem Fenster geworfen?» Ich: «Nein, natürlich nicht! Aber
diese Nacht gab es da plötzlich einen großen Krach, und Menschen zankten sich,
da werden sie wohl was hingeworfen haben.» «Ja», sagte der Wallarbeiter
gemütlich, «dann wollen wir’s mal zusammenfegen und mitnehmen.» Ich war sehr
erleichtert, ging nach nebenan und weckte Linsche, die noch halb schlief, und
sagte: «Linsche, die Polizei hat mich eben verhaftet, und du kommst auch mit
ins Verhör — das wird wohl noch schlimm ausgehen.» Sie brummte vor sich hin:
«Achtzehn Jahre, man sollte es nicht für möglich halten.»
Mit tausend innigen Grüßen
Deine Matti
PS.
Nun ziehe ich also gleich nach der
Abreise der Eltern zu Heinz und Rena Retberg. Damit Du das nicht falsch
verstehst: dies hat nichts mit Retbergs zu tun, sondern nur mit Rena. Mama
hatte ihr erzählt, daß unser Haus voller Handwerker wäre im Mai, weshalb sie
und Papa gleich nach Wildungen weiterführen, und ich sollte am 17. nach
Lesmona. Da bot Rena sich an, mich während dieser 8 Tage zu sich zu nehmen. Ich
will aber nur 4 Tage bei ihr bleiben, fühle mich bei Linsche viel wohler. Also
am 17. Mai fahre ich nach Lesmona, am 18. ist Onkel Herberts Geburtstag, und da
wollte er mich gern draußen haben. Fräulein Kaiser soll mich bemuttern. Max
Georgi ist draußen und Heini Finke. Percy Roesner kommt auch am 17. aus London.
Und nun tausend Grüße und Küsse
von Deiner Matti
Bremen, Freitag, den 11. Mai 94
Philosophenweg 16
Meine liebe liebe Bertha!
Es ist komisch, hier in Bremen in einer
ganz anderen Straße zu wohnen. Retbergs sind sehr reizend, und es ist sehr
gemütlich. Aber denke Dir mein Erlebnis: Rena roch gestern nach so wundervoller
Seife, und sie erzählte, es sei ein Geschenk von Heinz: Violettes von Roger und
Gallet. Ich fragte Heinz, wo er sie gekauft hätte, weil ich sie auch so liebte.
Darauf sagte er ganz obenhin: «Bei Rudis Französin, die bei N. im Laden ist.»
So, «das will ich rauskriegen», dachte ich! Nach Tisch lief ich zu Linsche und
erzählte ihr alles und bat sie, gleich am selben Nachmittag in den Laden zu
gehen, wo Linsche auch Mamas Seife bei der Französin kauft und sie also etwas
kennt. Ich bat sie, die Französin zu fragen, wie lange sie schon in Bremen
wäre. Linsche sagt: «Ich will es gern tun, damit du von diesem Dr. Retberg
loskommst, aber für die Antwort komme ich nicht nochmal die Treppe hinunter.» «Nein,
nein», begöschte ich sie, «ich komme um ½ 7 hier vorbei und pfeife. Dann rufst
du oben aus dem Fenster, wie lange sie hier ist.» So geschah es. Um ½ 7
erschien Linsche am Fenster auf meinen Pfiff hin und ruft herunter: «Seit zwei
Jahren ist sie hier.» Ich winkte und lief weg. Es ist ein sonderbares Gefühl
für mich, jetzt mit meiner Empörung bei seinem Bruder am Tisch zu sitzen. Rudi
war nämlich drei Jahre in der Schweiz und kam erst im Herbst 93 wieder hierher.
Er hat dann also seinen Verkehr mit der Französin im Oktober angefangen und,
während er mir die darauffolgenden Monate die Cour machte, als wir zusammen
aufführten, weiter beibehalten. Anna und Susi finden es gar nicht schlimm, da
ich doch damals gar keine Rechte auf ihn hatte. Trotzdem tat es mir leid, daß
ich keinen Retbergschen Nachttopf zum «Abregen» auf die Straße schmeißen
konnte!
Nun schreibe also nach Lesmona.
In großer Liebe
Deine Matti
St. Magnus
Villa Lesmona b. Bremen
Sonnabend, den 19. Mai 94
Liebe liebe Bertha!
Denke Dir, als ich hier ankam, war das
arme Fräulein Kaiser schon im Reisekleid, und ihre gepackten Koffer standen vor
der Tür. Sie hatte vor acht Tagen einen schweren Gallenanfall gehabt, war im
Josephstift untersucht und muß operiert werden. Das will sie aber nicht in Bremen
machen lassen, sondern in Hannover bei ihren Verwandten. Als sie weg war, sagte
Onkel Herbert: «Na, Marga, wenn das deine Eltern hören, lassen sie dich
wahrscheinlich noch nach Wildungen kommen, weil Fräulein Kaiser dich doch hier
bemuttern sollte. Aber das sehe ich gar nicht ein. Wo ich hier bin, kann
ich dich doch bevatern, und wer sollte dir hier wohl was tun? Wir wollen es
aber deinen Eltern erstmal noch nicht schreiben.»
Ich stimmte begeistert zu, denn
Wildungen hängt mir weit aus dem Halse.
Also Max Georgi und Heini F. sind hier,
und Percy Roesner kam am selben Tag wie ich — er war von London erst nach Köln
gefahren zur Hochzeit eines
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