Sommer, Sonne, Ferienglück
Ebene hielt sich auf einzelnen Hügeln goldenes Licht. Die Elefanten hatten sich in den Busch zurückgezogen, die Antilopenherden niedergetan, und bald würde von irgendwo ein Löwe brüllen, und man würde es bis hier herauf hören.
Der Berg Mutosi. Ostafrika!
Sie waren viermal umgestiegen. Damals flog man noch die DC-6, viermotorige Propellerkästen, dann wurde es eine scheppernde, kleine DC-3 und schließlich Jeeps. Zwölf Menschen hatte Theo auf den Mount Mutosi geschleppt: drei Frauen, der Rest Männer.
Nun mahnte er zum Aufbruch.
Einer aber blieb sitzen, hockte einfach da, knabberte an seinem Zeigefingernagel und guckte wie ein Kind.
»Wir müssen!«
»Ach ja, ach ja.«
»Wirklich.«
Da hob er das Gesicht, ein mageres, bebrilltes Gesicht, auch in diesem Rosenlicht gebadet: »Ich komme ja, Herr Schmidle. Aber ehe wir gehen, habe ich Ihnen meinen tiefst empfundenen Dank auszudrücken. Diese Reise und damit auch Sie, verehrter Herr Schmidle, haben mein Leben verändert …«
Er hieß Bauer, Dr. Waldemar Bauer. Theo sollte seinem Gesicht noch oft begegnen, allerdings nur in Zeitungen, denn kurz darauf startete derselbe Waldemar Bauer, der bis dahin ja nur ein Rechtsanwalt in Reutlingen gewesen war, seinen atemberaubenden Aufstieg, der ihn bis in den Vorstand des Weltkonzerns Bosch in Stuttgart führte. Eine Karriere mit Salutschüssen und Trommelwirbeln: »Sie haben mein Leben verändert, Herr Schmidle …«
Und du?
Jogging zum Fithalten?
Fit zu was?
Hockst unterm Efeu auf einer Bank im Regen und spürst, wie dein Hintern kalt und naß wird.
Entscheidungen formen sich im Menschen aus den verschiedensten Ursachen. Die Vernunft kann sie fordern, der Verstand analysieren, die Not sie erzwingen, das Herz nach ihnen verlangen, bisweilen entstehen sie auch aus triumphalem Überschwang, doch jede bedarf gewissermaßen eines Aggregatzustands der Gefühle, der Verdichtung von Empfindungen.
Dieser Aggregatzustand war bei Theo erreicht.
Träume waren sein Gebiet, seine Spezialität, sein Rohstoff, dreißig Arbeitsjahre lang. Auf ihnen hatten sein Glück und seine Erfolge beruht, sie waren aber – leider – auch Theos Schwäche.
Den Traum, an den er dachte, würde er verwirklichen …
***
Theo sang. Und selten sang er mit so viel Inbrunst.
Die Dusche prasselte auf den kahlen Schädel. Müdigkeit und Milchsäureüberschuß wichen aus seinen kräftigen Muskeln. Sie färbten sich rosarot. Das Kraftpaket, das Theo Schmidle hieß, erwachte zu neuem Leben.
So, das Handtuch!
Auf dem Weg zum Kleiderschrank passierte er Annemaries Fotografie. Aus einem wunderschönen, in Braun und Gold geprägten Lederrahmen sah sie ihm entgegen. Theo hatte den Rahmen in Marrakesch erhandelt, im Suk.
Wie so oft blieb Theo davor stehen: Annemarie in weißen Jeans, Tropenhemd und Strohhut, auf einem knienden Dromedar sitzend.
Annemaries Lachen!
Im Hintergrund ockerfarbene Mauern, eine ganze Symphonie in sanften Braun- und Rottönen, wenn man von dem Grün der beiden Palmen und dem strahlenden Blau ihrer Augen absah.
Sein nasser Zeigefinger hinterließ einen runden kleinen Fleck auf dem Glas.
»Na, was hältst du davon?«
Stille.
»Nun sag schon, ist das eine Bombensache oder nicht?«
Annemarie sagte nichts.
Neun Jahre waren sie nun getrennt, falls ein Grabstein Trennung bedeuten kann – in dieser Frage hatte Theo nun doch Zweifel; wie oft sprachen sie miteinander, wie oft konnte er sich auf Annemaries Rat verlassen, mußte ihrem Spott recht geben. Heute aber …
Nun ja, vielleicht hatte sie heute schlechte Laune? Das wußte man auch früher nie so recht bei ihr.
»Ach, Anne, wirst schon sehen …«
Der Kleiderschrank. Ein Bankbesuch ist ein Bankbesuch, und diesmal geht's nicht zum Schalter, sondern zum Chef. Den Zweireiher? Übertreiben wollen wir auch nicht. – Theo wählte ein resedagrünes Seidenhemd, auf Maß geschneidert – Bangkok, helle Hosen – war das nicht Turin? – und schließlich seine alte, aber noch immer todschicke Antilopenjacke.
So!
Den Mantel brauchst du auch nicht. Der Regen macht Pause …
***
In Kirchberg sind alle Entfernungen zu Fuß zu bewältigen. Theo konnte so bereits zehn Minuten später an einem von Gummibäumen umstandenen Schreibtisch einer blasiert dreinblickenden Sekretärin – die roten Haare trug sie hochgetürmt wie ein Milchtopf ohne Henkel und war kaum älter als neunzehn – die Visitenkarte überreichen.
»Sind Sie angemeldet, Herr Schmidle?«
Theo
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