Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
Internetseite des Resorts, die Claire sich am Abend zuvor kurz angeschaut hatte, erklärte, dass das Camp Kioga seine Hochzeit in der Ära der großen Camps Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts erlebt hatte, als Familien aus der Stadt hier Zuflucht vor der Sommerhitze suchten.
Die weitreichende Geschichte und die Schönheit des Ortes weckten in ihr eine Sehnsucht nach Dingen, die sie nie haben konnte – zum Beispiel Menschen, die wussten, wer sie wirklich war. Was für ein Geschenk es wäre, endlich nicht mehr fliehen zu müssen.
Der Kies knirschte unter den Rädern, als sie der kreisförmigen Einfahrt folgten, die zum Haupthaus führte. Drei Flaggen wehten über dem hübsch angelegten Beet in der Mitte der Auffahrt: die US-Flagge, die Flagge von New York und weiter unten eine weitere, die sie nicht erkannte.
„Das ist die Flagge von Camp Kioga“, erklärte George. „Schön, dass sie das gelassen haben.“
Die Flagge zeigte ein kitschiges Tipi am See und im Hintergrundblaue Berge.
Claire parkte den Wagen neben dem Eingang und ging ums Auto herum, um George zu helfen. Niemand war zu sehen. Es war noch früh in der Saison und noch dazu ein normaler Werktag. Das Camp wirkte wie ausgestorben.
Nach ein paar Minuten kam ein Teenager zu ihnen. Er trug einen Overall und hatte gerade im Garten gearbeitet. Er zog seine Arbeitshandschuhe aus und öffnete die Beifahrertür von Claires Wagen. „Willkommen im Camp Kioga“, sagte er. „Ich bin Max. Darf ich Ihnen behilflich sein?“
„Danke, junger Mann“, erwiderte George. „Vielleicht können Sie mit dem Gepäck helfen, nachdem wir eingecheckt haben.“
„Sehr gerne.“ Max schaute George an und schien überrascht. Doch er sagte nichts, sondern ging vor zum Haupthaus und hielt den beiden die Tür auf.
Claire spürte die Anspannung in George, als sie die wunderschöne Eingangshalle betraten. Sie war ganz aus Baumstämmen und Flussfelsen erbaut. In der Luft hing ein leichter Geruch nach Holzrauch, der von dem Kamin stammte, der groß genug war, um darin stehen zu können.
Der Bereich um die Rezeption war mit rustikalen Möbeln und einfacher Kunst dekoriert und weckte den Eindruck, in einer anderen Zeit gelandet zu sein, an einem Ort, den Claire bisher nur aus ihrer Fantasie kannte. Alles war sehr schlicht gehalten, in gedeckten Farben, und kleine Tiffanylampen verbreiteten ein warmes Licht. In einem Nebenraum schien sich eine gut gefüllte Bibliothek zu befinden, und es gab eine Treppe, die hinunter in ein Spielzimmer führte.
Hinter der Rezeption lag ein eleganter Speisesaal mit einer derzeit geschlossenen Bar. Der Speisesaal wurde gerade für das Abendessen hergerichtet, mit Tischdecken und Servietten aus weißem Leinen. Eine Wand wurde vollständig von einem gefüllten Weinregal bedeckt. Auf der anderen Seite des Raumes führten Glastüren auf eine große Holzterrasse mitBlick über den See.
Claire sah, dass George seine Hand fester um den Griff seines Gehstocks schloss. „Geht es Ihnen gut?“, fragte sie.
„Ja, sehr gut sogar.“
Eine freundliche Frau namens Renée checkte sie ein und gab ihnen einen kurzen Überblick über das vierzig Hektar große Gelände. Jedes Cottage hatte einen eigenen Namen und sein eigenes Motto – die Winter Lodge, das Frühlings-Haus, die Saratoga-Koje, das Langhaus und so weiter. Gemäß der mit kleinen Zeichnungen illustrierten Landkarte des Camps würden Claire und George sich ein gut ausgestattetes Zwei-Zimmer-Häuschen namens Summer Hideaway teilen, und genau das war es, was sie wollte – ein Versteck für den Sommer. Claire hatte bei der Buchung darauf hingewiesen, dass sie eine rollstuhlgerechte Unterkunft benötigten, und diese Hütte schien dafür wie geschaffen zu sein. Sie hatte einen eigenen Steg und ein kleines Bootshaus, und der Broschüre nach war sie „der perfekte Ort, um zu entfliehen und zu träumen“.
Der Tagessatz verschlug Claire die Sprache, aber George blinzelte nicht einmal, als er seine Kreditkarte überreichte.
Renée zog die Karte durch das Lesegerät und hielt einen Augenblick inne, bevor sie sie zurückgab. „Bellamy“, sagte sie. „Die Besitzer des Resorts heißen ebenfalls Bellamy. Sind Sie verwandt?“
„Vielleicht“, erwiderte George, ohne eine weitere Erklärung anzubieten.
„Dann könnten Sie den Familien- und Freundetarif in Anspruch nehmen.“
„Danke, aber das wird nicht nötig sein. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden?“ Er ging durch den leeren Speisesaal und
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