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Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens

Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens

Titel: Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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gleich waren, egal, wohin sie ging. Sie lebten, liebten einander, stritten und lachten und weinten, und die Jahre summierten sich nach und nach zu einem Leben. Die Einwohner von Avalon waren da keine Ausnahme. Sie taten das alles nur an einem hübscheren Ort.
    „Nun, George, was meinen Sie?“, fragte sie. „Wie sieht es hier für Sie aus?“
    „Die Stadt hat sich erstaunlich wenig verändert, seitdem ich das letzte Mal hier gewesen bin“, stellte er fest. „Ich war mir nicht sicher, ob ich sie überhaupt wiedererkennen würde.“ Seine Hände schlossen sich um das Notizbuch, das auf seinem Schoß lag. „Ich denke, ich möchte in Avalon sterben. Ja, ich glaube, hier soll es passieren.“
    „Wann waren Sie das letzte Mal hier?“ Sie ignorierte seine letzte Aussage absichtlich.
    „Am 24. August 1955“, sagte er ohne Zögern. „Ich bin mit dem Zug um 4.40 Uhr gefahren. Ich hätte nie auch nur im Traum daran gedacht, dass bis zu meiner Rückkehr fünfundfünfzig Jahre vergehen würden.“
    Eine so lange Zeit, dachte Claire. Was trieb ihn nach all den Jahren hierher zurück?„Würde es Ihnen etwas ausmachen, hier kurz anzuhalten?“, fragte George. „Ich muss der Bäckerei einen Besuch abstatten. Es gab sie schon, als ich das letzte Mal hier war.“
    Sie lenkte den Wagen in eine Behindertenparklücke. An guten Tagen konnte George ganz gut laufen, und heute schien ein solcher Tag zu sein. Trotzdem waren sie in einer neuen Umgebung, und sie wollte ihr Glück nicht herausfordern.
    Über dem Eingang zur Sky River Bakery mit ihrem angeschlossenen Café verkündete ein Schild, dass sie im Jahr 1952 gegründet worden war. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, und auf dem Bürgersteig vor der Bäckerei standen von Sonnenschirmen beschattete Tische, an denen Menschen in kleinen Grüppchen saßen und eiskalte Getränke und köstlich aussehendes Gebäck genossen.
    Claire ging um das Auto herum zur Beifahrerseite, um George beim Aussteigen zu helfen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass der Schlüssel zur Hilfe für einen Patienten darin bestand, seine Hinweise richtig zu deuten. Respekt und Achtung waren ihre Parolen.
    Sie hatten zwar einen Rollstuhl dabei, doch George entschied sich für seinen schlichten Gehstock. Claire half ihm aus dem Auto, und gemeinsam standen sie einen Augenblick da und schauten sich um. Seine leicht übermütige Haltung fiel ein wenig in sich zusammen und enthüllte ein Gesicht, in dem sich eine leichte Unsicherheit zeigte.
    „George?“, fragte sie.
    „Sehe ich … gut aus?“
    Sie lächelte nicht, aber ihr Herz schmolz ein klein wenig. Jeder Mensch hatte seine eigenen Unsicherheiten. „Ich habe gerade gedacht, dass Sie außergewöhnlich gut aussehen. Ehrlich gesagt ist es sehr schön, Ihnen mal die Wahrheit sagen zu können, anstatt so zu tun als ob.“
    „Was? So etwas haben Sie getan? Sie haben vorgegeben, dass ich gut aussehe, sogar wenn das gar nicht der Fall war?“
    „Das ist alles eine Frage der Perspektive. Ich habe Menschenschon erzählt, dass sie aussehen wie das blühende Leben, wenn sie in Wahrheit aussahen wie der Tod.“
    „Und die haben Sie nicht durchschaut?“
    „Die Menschen sehen, was sie sehen wollen. In Ihrem Fall habe ich aber keinen Grund, zu lügen. Sie sehen sehr gut aus, und die Schirmmütze verleiht Ihnen Pfiff. Wo haben Sie gelernt, sich so anzuziehen?“
    „Von meinem Vater, Parkhurst Bellamy. Er hatte ziemlich klare Vorstellungen davon, wie ein Gentleman zu jeder Gelegenheit gekleidet zu sein hatte – sogar für einen Besuch in einer Bäckerei. Er hat meinen Bruder und mich bis nach London mitgenommen, um unsere ersten Maßanzüge bei Henry Poole in der Savile Row anfertigen zu lassen. Ich lasse bis heute dort schneidern.“
    Er betrachtete sein Spiegelbild im Schaufenster. „Tun Sie mir einen Gefallen? Wenn ich die Phase erreiche, in der ich wie der Tod aussehe, lügen Sie mich bitte einfach weiter an, ja?“
    „Abgemacht.“ Sie zögerte. „Erwarten Sie, in der Bäckerei jemanden zu treffen, den Sie kennen?“
    Er schenkte ihr ein verzagtes Lächeln. „Nach all der Zeit? Das ist wohl kaum wahrscheinlich. Andererseits schadet es nie, auf das Unwahrscheinliche vorbereitet zu sein.“ Er straffte die Schultern und umfasste den Griff seines Stocks. „Sollen wir?“ Galant hielt er ihr die Ladentür auf.
    In der Bäckerei roch es so gut, dass Claire ganz weiche Knie bekam. Das Aroma von frisch gebackenem Brot mischte sich mit dem Geruch buttrigen

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