Sommer wie Winter
Am Anfang haben ich und die Anna einmal danach gefragt, weil uns das natürlich interessiert hat, aber der Vater hat nur gesagt: Wir wissen selber nichts Genaues und es ist auch nicht wichtig, der Alexander gehört jetzt zu uns und fertig!
Das verstehe ich bis heute nicht! Warum sie so wenig geredet haben mit uns! Über nichts haben wir geredet! Über nichts! Nicht über unsere Ängste oder Wünsche oder über unsere Zukunft oder darüber, wie wir uns unser Leben vorstellen. Die Mutter hat mit uns über den Glauben gesprochen, wie wir klein waren, und später über die Gäste: Das ist aber eine nette Familie, so gut erzogene Kinder, und sogar in die Messe gehen sie! Oder: Der ist ein
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Tunichtgut und sie ist ein Lapp und die Kinder so was von frech!
Bei Tisch haben wir still sein müssen, mucksmäuschenstill, sonst hat man in sein Zimmer gehen müssen, weil da haben sie übers Geschäft geredet, das heißt, meistens hat der Vater darüber geredet.
Was ist da dabei, wenn ich sage: Die leibliche Mutter vom Alexander ist mit der Situation nicht zurechtgekommen und ist ausgewandert, und wer der leibliche Vater ist, wissen wir nicht, in der Geburtsurkunde steht »unbekannt«. Das wissen wir vom Jugendamt. Was ist da dabei? Wir haben natürlich alle gedacht, dass die Eltern gestorben sind, auch der Alexander. Ja, wir, die Anna und ich, haben ihm, wie er ganz klein war, sogar Geschichten erzählt über den Autounfall seiner Mutter, die haben wir uns ausgedacht.
Na, und auf einmal fragt er leise beim Mittagessen: Warum habt ihr mir nie gesagt, dass meine richtige Mutter eigentlich noch leben könnte und dass sie ausgewandert ist?
Zuerst haben die Eltern sich nur angeschaut und der Vater hat die Mutter gefragt, ob sie ihm das erzählt hat. Der Alexander hat gesagt: Ich habe den Zeitungsartikel gefunden.
Die Mutter hat ruhig gesagt: Alexander, das macht doch keinen Unterschied! Du gehörst doch zu uns! Darauf hat der Alexander laut gelacht, fast
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ein bisschen hysterisch, und er hat gesagt: Ja, und deswegen gibt es immer noch den Sommer beim Winter! Die Mutter hat gefragt, ob er möchte, dass sie ihn adoptieren. Darauf hat er gesagt: Nein, jetzt will ich es nicht mehr. Ich werde meine richtige Mutter suchen. Und ich will jetzt von euch wissen, welches Kinderheim das gewesen ist, da muss ich nämlich hin.
Da ist der Vater narrisch geworden, und wie! Er hat geschrien, dass der Alexander ein undankbarer Fratz ist und dass er sich das aus dem Kopf schlagen soll! Seine Mutter hat ihn als kleines Kind zurückgelassen, so ein Luder braucht er doch nicht suchen! Was er von der denn will?
Ich will sie kennenlernen, hat der Alexander gesagt und ist gegangen.
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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
Bis ich das erste Mal in die Wohnung meiner richtigen Mutter gekommen bin, hat das eine Weile gedauert. Aber nicht, weil es so schwierig gewesen ist, die Adresse zu finden, sondern weil ich von daheim nicht weggekommen bin. Wenn ich gesagt habe, ich möchte nach Innsbruck fahren, hat das eine Menge Fragen gegeben und dann haben sie mich nicht lassen, es hat immer so viel Arbeit gegeben. Die Mutter hat gefragt: Was willst du in Innsbruck? Brauchst du was Bestimmtes?
Dann habe ich einmal gesagt, ich muss der Martina was bringen, sie hat Bücher daheim vergessen, die sie unbedingt braucht, und außerdem hat sie mich eingeladen, dass ich sie besuche. Eine Nacht werde ich bei ihr schlafen und die Manu wird für mich in den Stall gehen. Für die Eltern ist das in Ordnung gewesen, Hauptsache, jemand anderer geht in den Stall. Die Manu hat mir auch danach immer geholfen, wenn ich weg wollte.
Ich habe den Bus um halb sieben in der Früh genommen. Wie ich dann das erste Mal im Postbus gesessen und in die Stadt gefahren bin, habe ich mich so frei gefühlt! Das ist jetzt eineinhalb Jahre
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her. Ich habe die Gegend vorbeiziehen sehen und habe mir vorgestellt, dass ich durch Neuseeland fahre, zu meiner Mutter. Dann habe ich mir vorgestellt, dass ich durch Thailand fahre und durch andere Länder, dass ich auf Reisen bin und viel sehe und Menschen kennenlerne. Am liebsten wäre ich stundenlang so weitergefahren.
Ich bin zum zweiten Mal in Innsbruck gewesen. Beim ersten Mal habe ich mit der Anna mitfahren dürfen, wie sie die Martina ins Studentenheim gebracht hat, mit ihren ganzen Sachen, und die Manu hat auch mitfahren dürfen. Da haben die Manu und ich das erste Mal das Goldene Dachl gesehen und die
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